WER WAR LUDWIG HASELMAYER?

Ein Kanarienvogel, der einen Kopfstand macht, ein anderer, der überhaupt kopflos unterwegs zu sein scheint, einer, der einen Kanonenschuss abfeuert, während daneben offenbar gerade ein Duell zwischen zwei Vögeln stattgefunden hat. Friedlicher geht es bei jenen zu, die an einem gedeckten Tischchen sitzen, in einer Kutsche unterwegs sind oder sich im Seilspringen üben. Es ist eine kuriose gefiederte Schar, die da auf einem Plakat mit dem Titel „Haselmayer’s Educated Birds“ versammelt ist. Die Affiche richtet sich offensichtlich an ein englischsprachiges Publikum, und auf dem Trapez, auf dem einige der Vögel Balanceakte vollführen, sind stilisierte Flaggen der Vereinigten Staaten angebracht.

Franz Gerasch: HASELMAYERʼS EDUCATED BIRDS. Um 1868. Farblithografie, 920 mm x 1195 mm. Albertina Wien
Franz Gerasch: HASELMAYERʼS EDUCATED BIRDS. Um 1868. Farblithografie, 920 mm x 1195 mm. Albertina Wien

Wieso aber wurde dieses Plakat, das sich in der Sammlung der Wiener Albertina befindet, in Wien gedruckt, in der renommierten Druckerei Eduard Sieger und nach einem Entwurf des österreichischen Malers und Grafikers Franz Gerasch? Und wer war überhaupt jener Haselmayer, der sich offenbar in so bemerkenswerter Weise auf die Vogeldressur verstand?

KARRIEREBEGINN IN WIEN
Kurz gesagt: Haselmayer war ein Weltreisender in Sachen Magie. Oder, wie es die kanadische Zeitung „The Ottawa Free Trader“ formulierte: „Haselmayer is a magician of the first order, and his trained canaries are wonders.”[1]

Geboren wurde der „Zauberkünstler ersten Ranges“ Ludwig Haselmayer am 18. September 1839 in Atzgersdorf (heute ein Teil von Wien)[2]. Seine Laufbahn begann, relativ unspektakulär, im Bereich der populären Wiener Unterhaltungsszene. Denn der Sohn eines Buchhalters hatte eine musikalische Ausbildung erhalten, er komponierte, spielte Klavier, war ein Virtuose auf dem Xylophon – und er hatte ein ausgeprägtes Interesse für die Zauberkunst. Damit passte er gut in das Konzept von „Varry’s Liederspielhalle“. Dabei handelte es sich nicht um eine Lokalität, sondern die „Liederspielhalle“ war eine Gruppe von Schauspieler:innen und Musiker:innen, die unter der Leitung des Autors und Schauspielers Anton Varry[3] in den Sälen von Gast- und Kaffeehäusern bunt gemischte Programme präsentierte. Der Bogen reichte dabei von kurzen „dramatischen Scherzen“ über Wienerlieder, Polka- und Walzermusik bis zu Arien aus populären Opern.

Veranstaltungsankündigung in: Der Zwischen-Akt, 15.8.1860, S. 2
Veranstaltungsankündigung in: Der Zwischen-Akt, 15.8.1860, S. 2

Seinen ersten Auftritt mit „Varry’s Liederspielhalle“ hatte Ludwig Haselmayer am 15. August 1860. Die Veranstaltung fand in dem populären Wiener Gasthaus „Zum großen Zeisig“ beim Burg-Glacis (heute: Burggasse 2) statt. Ludwig Haselmayer war im Programm mit einer Eigenkomposition vertreten, nämlich mit „Idaʼs Polka-Mazur“. Diese trug er auf dem Xylophon vor, das damals auch „Holz- und Strohinstrument“ genannt wurde.

Drei Monate später, im November 1860, hatte Haselmayer dann, wieder bei einer Vorstellung von „Varryʼs Liederspielhalle“, sein Debut als Magier. Er präsentierte dabei zwei „Produktionen in der Magie“: Bei der einen, betitelt „Was für eine Karte wünschen Sie?“, handelte es sich offenbar um einen Kartentrick. Die andere war im Programm als „Eine Damenspende“ angekündigt. Vielleicht war es ein ähnliches Zauberkunststück, wie jenes, mit dem er später immer wieder für Erstaunen sorgte: Er erbat sich von einer Frau im Publikum deren Ehering, ließ diesen von einem Zuschauer mittels eines schweren Hammers zu einem Oval schlagen und „zauberte“ den Ring letztlich wieder unversehrt aus einem versiegelten Umschlag hervor.[4]

Ankündigung von Ludwig Haselmayers Debut als Magier in der Wiener Zeitschrift „Der Zwischen-Akt“, 14.11.1860, S. 2
Ankündigung von Ludwig Haselmayers Debut als Magier in der Wiener Zeitschrift „Der Zwischen-Akt“, 14.11.1860, S. 2

ASSISTENT VON CARL COMPARS HERRMANN
Die entscheidende Wende in Ludwig Haselmayers Magierlaufbahn kam, als er zum Assistenten eines der international erfolgreichsten Zauberkünstler jener Zeit wurde, nämlich von Carl Compars Herrmann. Dieser, geboren 1816, stammte aus Deutschland und hatte seit den 1850er Jahren seinen Hauptwohnsitz in Wien. 1861 hatte er eine vielbejubelte Amerika-Tournee absolviert, und als er sich 1865 ein weiteres Mal nach Übersee aufmachte, nahm er Ludwig Haselmayer – den er vermutlich bei dessen Auftritten in Wiener Vergnügungslokalen „entdeckt“ hatte[5] – dorthin mit.

Die USA-Tournee startete am 11. September 1865 an einem sehr repräsentativen Ort, nämlich in der rund 4.000 Sitzplätze fassenden „Academy of Music“ in New York. Sowohl der Premierenabend als auch die weiteren (fast täglichen) Vorstellungen waren überaus erfolgreich: „The house was crammed above and below with a fashionable audience, who applauded the wonderful prestidigitateur to the echo. […] There is not on record so great a success as Herrmann has made with his new feasts during the season, which, we regret to say, closes this evening with a final performance at the Academy“, war am 14. Oktober 1865 auf der Titelseite von „The New York Herald“ zu lesen.

Vollbesetzte Häuser und viel Applaus erwarteten den „Prestidigitateur“[6] – den Zauberkünstler – auch auf den weiteren Stationen der Tournee. Diese führte Herrmann und Haselmayer zunächst nach Boston und dann nach Baltimore . Dort, wo die beiden im November 1865 gastierten, wurde Ludwig Haselmayer auch erstmals namentlich in einer Veranstaltungsankündigung erwähnt, und zwar in der deutschsprachigen Tageszeitung „Baltimore Wecker“. Nicht nur auf Herrmanns „berühmte Zauber-Künste“ und das „neue, glänzende Programm“ wurde da hingewiesen, sondern es war auch vermerkt: „Herr Haselmeyer, Assistent des Prof. Herrmann, wird außerdem das Publikum mit Vorträgen auf seinem berühmten Holz-Stroh-Instrumente unterhalten.“[7] In der nächsten Ausgabe ergänzte der „Baltimore Wecker“ in Bezug auf Haselmayers Holz-Stroh-Instrument: „Dieses Instrument, das aus hölzernen Stäben die schönsten Töne auf eine fast unbegreifliche Weise sich entlocken läßt, ist eine höchst originelle Combination und verdient gesehen und gehört zu werden.“[8]

Erste Erwähnung Ludwig Haselmayers in einer US-amerikanischen Zeitung (Baltimore Wecker, 14.11.1865)
Erste Erwähnung Ludwig Haselmayers in einer US-amerikanischen Zeitung (Baltimore Wecker, 14.11.1865)

DER PROFESSOR UND SEIN „STYLOCARFE“
Ludwig Haselmayer fiel zunächst also mit seinem Spiel auf dem Xylophon auf – und er wusste dies zu nutzen. Nach Abschluss der Amerika-Tournee mit Carl Compars Herrmann machte er sich an die Gestaltung eigener Programme, und dabei war die Musik ein wesentliches Element. Außerdem „internationalisierte“ er seinen Vornamen von Ludwig zu Louis und nannte sich nunmehr Professor (die Annahme dieses Titels war bei Zauberkünstlern sehr beliebt – auch Compars Herrmann firmierte, ebenso wie zahlreiche andere Magier jener Zeit, als Professor).

1868 begab sich Haselmayer erneut auf eine Tournee nach Übersee. Diesmal war er solo unterwegs – und mit einem besonderen Stück im Gepäck: Es war ein speziell für ihn angefertigtes Schlaginstrument, das einer Marimba ähnelte und dem Haselmayer den Namen „Stylocarfe“ gegeben hatte.

Notentitelblatt, um 1868. Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C. Im englischsprachigen Raum wurde Haselmayers Name häufig „Hazelmayer“ oder „Haslemayer“ geschrieben.
Notentitelblatt, um 1868. Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C. Im englischsprachigen Raum wurde Haselmayers Name häufig „Hazelmayer“ oder „Haslemayer“ geschrieben.

Das Spiel auf dem Stylocarfe[9] war fortan ein Fixpunkt in Haselmayers Programm. Ob bei der großen Tournee, die ihn 1868 bis 1871 durch die Vereinigten Staaten und Kanada führte, ob dann in Australien, in Neuseeland, in Indien, in Südafrika, in Honolulu oder in Hongkong – wo auch immer er auftrat, stets gab es neben Magie auch Musik.

Haselmayer spielte auf dem „Stylocarfe“ eigene Kompositionen, populäre Stücke aus dem Bereich der klassischen Musik und Melodien mit Bezug zum jeweiligen Auftrittsort – und er war damit sehr erfolgreich. Von etlichen seiner Kompositionen waren die Noten (transkribiert für Klavier) gedruckt erhältlich[10], und in den Berichten über Haselmayers Auftritte wurde immer auch das Spiel auf dem „Stylocarfe“ erwähnt. So etwa, als Haselmayer 1872 bei einer Tournee durch Neuseeland in Christchurch gastierte. „The Lyttelton Times“ brachte da eine detaillierte Beschreibung des Programmablaufes: Haselmayer beginne seine Vorstellung mit einer Reihe von Zaubertricks und präsentiere dann das Stylocarfe, „an instrument of his own invention. He informs the audience that it is made entirely of wood and indiarubber. By the aid of a hammer in each hand he plays to a pianoforte accompaniment with astonishing precision, and being vociferously encored, treats the audience to a medley of national and popular airs. The instrument in some measure resembles the rock harmonicon[11], but Professor Haselmayer can bring much better music out of his stylocarfe than we have ever heard drawn from the former instrument.“[12]

Auch im australischen Adelaide war man beeindruckt. Haselmayers Zaubertricks seien, so hieß es in „The Express and Telegraph“, „perfect illusions“ und „his performances on the most unlikely of all musical instruments ever invented – the Stylocarfe – showed him to possess the soul of a true musician. Out of what appeared to be a bunch of sticks thrown together anyhow, he brought some delicious music, which wonderfully excited the enthusiasm of the audience.“[13]

Ludwig Haselmayer sollte mit seinem Stylocarfe sogar in die südaustralische Musikgeschichte eingehen: In einem 1936 erschienenen Artikel in „The Australian Musical News“ werden seine Auftritte in Adelaide erwähnt und er wird damit unter die Pioniere des südaustralischen Musiklebens eingereiht.[14]

„MUSIC! MAGIC! MICE! … and … EDUCATED BIRDS!“
Nicht nur das Stylocarfe gehörte zu den Besonderheiten von Ludwig Haselmayers Auftritten, sondern auch jene Schar von kleinen Begleitern, die immer mit dabei waren: Kanarienvögel und weiße Mäuse. Auf die Idee, mit Kanarienvögeln zu arbeiten, war Haselmayer vielleicht bei der Amerika-Tournee von Carl Compars Herrmann gekommen. Denn auch dieser hatte einen „bird trick“ im Programm gehabt: „A large bird cage with canaries is placed on the stage; another is suspended empty at a greater distance over the audience. In an instant the cage on the stage disappears without being touched, and the birds are found in the empty cage“.[15] Während dabei jedoch den Vögeln lediglich eine Statistenrolle zukam, wurden sie bei Haselmayer zu Akteuren. Wie es Haselmayer gelungen sei, sie derart perfekt zu trainieren, sei – so schrieb die „Lyttelton Times“ – „truly wonderful. They will walk out of their cages and return to them at his bidding, walk up and down ladders, take their respective positions on a swing, stand on their head, rock themselves in a cradle, and perform sundry other manoeuvres that fill the audience with wonderment.“ Und auch die weißen Mäuse seien „extraordinary little creatures. One of them will get into a miniature carriage, while the other yokes itself to the trap and drags it along.“[16]

Von einem Missgeschick in diesem Zusammenhang wussten die neuseeländischen Zeitungen 1872 zu berichten: die weißen Mäuse waren auf der Anreise zu den Auftritten in Auckland entwischt und Haselmayer hatte sich um eine neue „Mäusetruppe“ zu kümmern. „However“, vermerkte „The Auckland Star“, „he is now in the process of training these little animals to various deeds, so it is not unlikely we shall be favoured with an exhibit of the result of his perseverance, tact, and skill.“[17]

„MUSIC! MAGIC! MICE! … AND … EDUCATED BIRDS!“ – Werbung in den „Gold Hill Daily News“ (3.7.1871, S. 2) für einen Auftritt von Ludwig Haselmayer in Gold Hill, Nevada.
„MUSIC! MAGIC! MICE! … AND … EDUCATED BIRDS!“ – Werbung in den „Gold Hill Daily News“ (3.7.1871, S. 2) für einen Auftritt von Ludwig Haselmayer in Gold Hill, Nevada.

KLAVIERSPIEL MIT KLEIDERBÜRSTE
Zum musikalischen Teil von Ludwig Haselmayers Auftritten gehörte es auch, dass sich der „Professor“ ans Klavier setzte, um aus dem Spiel darauf ein spezielles Showelement zu machen. Denn er drückte die Tasten nicht mit den Fingern, sondern mit einer Kleiderbürste – und trug so das populäre „The Carnival of Venice“ („Mein Hut, der hat drei Ecken“) vor. „This piece of mastery has never been attempted by any other pianist“[18], meinte die Zeitschrift „The Queenslander“ – „but then“, so der „Sydney Punch“, „he is a magician, which all musicians are not.“[19]

Beitrag über Ludwig Haselmayer im „Sydney Punch“ (27.2.1874, S. 8)
Beitrag über Ludwig Haselmayer im „Sydney Punch“ (27.2.1874, S. 8)

Das Satiremagazin „Sydney Punch“ wusste noch über einen weiteren Trick zu berichten: Dabei erbat sich Haselmayer von jemandem im Publikum eine 5-Pfund-Banknote, verbrannte sie über einer Kerze, um dann aus der Asche wieder den Geldschein „hervorzuzaubern“.

ERFOLG DURCH WERBUNG
Ludwig Haselmayer verstand es, für sich Werbung zu machen. Für seine Auftritte ließ er stets entsprechende Annoncen in den Zeitungen platzieren. Inmitten der damals meist kleinen, wortreichen Anzeigen hoben sich Haselmayers Werbeeinschaltungen mit ihren relativ großen Lettern und knappen, oft durch Ausrufungszeichen akzentuierten Slogans deutlich ab. Und er versäumte es auch nicht mitzuteilen, wenn seine Auftritte positive Reaktionen von prominenter Seite erhielten. So etwa, als er im Mai 1870 in New Orleans gastierte: Da ließ er per Zeitungsmeldung wissen, dass seine vorangegangenen Vorstellungen in Austin/Texas auch vom dortigen Gouverneur besucht worden waren. Dieser habe offiziell bestätigt, Haselmayer sei „superior to any performer who has visited the United States”.[20]

Als Ludwig Haselmayer im August 1881 seine Auftritte in der „School of Arts“ in Sydney ankündigen ließ, machte er natürlich auch darauf aufmerksam, dass er jenes Programm zeigen werde, das er drei Wochen zuvor anlässlich des Besuches der beiden Prinzen Edward (d.i. Prince Albert Victor Christian Edward of Wales) und George (später König George V.) im „Government House“ präsentiert hatte.

The Bulletin, 13.8.1881, S. 15
The Bulletin, 13.8.1881, S. 15

Von den Auftritten in Christchurch, Neuseeland, im Frühjahr 1872 wird berichtet, dass Ludwig Haselmayer an prominenten Plätzen der Stadt „large and attractive ‚posters‘“[21] anbringen ließ – und vermutlich tat er dies auch andernorts. Manchmal versuchte es Haselmayer außerdem mit einer zusätzlichen Form der Außenwerbung: Er ließ Seile, an denen Lampions und Schilder als Reklame für seine Auftritte befestigt waren, über eine Straße spannen. Das fiel auf – missfiel jedoch mancherorts den lokalen Behörden. In Christchurch, wo die Seile über der High Street angebracht waren – „so that everyone who passes up and down the thoroughfare cannot fail to notice it“[22] –, mussten sie nach einigen Tagen wieder entfernt werden.[23] Und in Sydney, wo Haselmayer im März 1880 in einem Brief an den Bürgermeister um Genehmigung zur Anbringung eines Seiles mit „Chinese lanterns“ in der Höhe von rund 14 Metern über der Pitt Street ersuchte, wurde dies umgehend abgelehnt.[24]

MADAME HASELMAYER
In der ersten Hälfte der 1870er Jahre hatte Ludwig Haselmayer eine Vielzahl von Auftritten in Australien und Neuseeland und absolvierte dann eine längere Tournee durch Südafrika. Um 1875/1876 kehrte er für einige Zeit nach Wien zurück[25] – und heiratete. Über die Biografie seiner Ehefrau ist nur wenig bekannt: Ihr Geburtsname war Wilhelmine Weimer[26], sie soll, so ist einem Bericht über das Ehepaar in der australischen Zeitschrift „The Bulletin“ zu entnehmen, französischer Herkunft, aber in Wien aufgewachsen sein und Ludwig Haselmayer in Budapest geheiratet haben[27].

Porträt von Ludwig und Wilhelmine Haselmayer in The Bulletin, 20.3.1880, S. 4.
Porträt von Ludwig und Wilhelmine Haselmayer in The Bulletin, 20.3.1880, S. 4.

Ausführlich hingegen berichteten die Zeitungen in Australien und Neuseeland über die gemeinsamen Auftritte der Haselmayers. Denn im Verlauf des Jahres 1879 hatte das Ehepaar seinen Wohnsitz in Wien aufgegeben und ging auf Tournee: zunächst nach Südafrika, dann weiter nach Australien. Die erste Vorstellung dort fand am 22. März 1880 in der „School of Arts“ in Sydney statt. Der Erlös ging zur Gänze an den „Irish Relief Fund“, der Spenden für das von einer Hungersnot betroffene Irland sammelte.

The Sydney Daily Telegraph, 22.3.1880, S. 4
The Sydney Daily Telegraph, 22.3.1880, S. 4

Durchaus werbewirksam ließ Ludwig Haselmayer in den Zeitungen auf diese Benefizveranstaltung hinweisen – und darauf, dass auch Madame Haselmayer bei der Vorstellung auftreten werde. „Crystal Cabinet Feat“ hieß das Kunststück, das, so hieß es, schon Tausende in Wien, Paris und in der Kapkolonie in Erstaunen versetzt habe. Wer es nachmachen könne, dem wurde eine Belohnung von 100 Pfund versprochen. Über Auftritte von Wilhelmine Haselmayer in Wien, Paris und Südafrika konnten keine Informationen gefunden werden. In Australien und danach in Neuseeland jedoch machte das „Crystal Cabinet Feat“ Furore. Es war ein Entfesselungstrick, der in den Berichten über Haselmayers Programm meist ausführlich beschrieben wurde. „The ‚Crystal Cabinet‘ is a remarkably clever invention“, meinte etwa die Melbourner Zeitung „The Weekly Times“: It is a box resting on four small feet, about a foot from the floor of the stage. The top and bottom are of wood, and the sides of plate glass. Into this the lady is placed in a kneeling position, with her wrists resting in a pair of small stocks, which are fastened with padlocks by two persons selected by the audience. The box is then locked, and covered for perhaps thirty seconds with a silken cloth, and at the end of that time Madame Haselmayer reappears upon the stage. The box is turned up and examined in view of the audience, but all the fastenings are found intact. There is no lowering of lights, or any of the usual artifices resorted to, so that from its very simplicity the trick is an uncommonly clever one.[28]

EINE NEUE ART VON ENTERTAINMENT
Für diese zweite große Welttournee hatte Ludwig Haselmayer ein neues Programm zusammengestellt, wobei er von seinen früheren Auftritten lediglich die Vögel- und Mäuse-Kunststückchen und den Musikpart übernahm. Haselmayer habe, so lobte die „Weekly Times“, jenen konventionellen Stil, der für die meisten Magier typisch sei, aufgegeben und statt der altbekannten Tricks mit Karten, Schachteln, Hüten und Münzen verwende er „clever mechanical and electrical machines“. Damit präsentiere er ein „new entertainment of magic and mystery“.[29]

Haselmayers „Psycho“ (State Library Victoria, Melbourne. W. G. Alma conjuring collection)
Haselmayers „Psycho“ (State Library Victoria, Melbourne. W. G. Alma conjuring collection)

Eine der vielbestaunten Novitäten in Haselmayers Programm war der Kartenspielautomat „Psycho“, eine rund 60cm-große Puppe, die mit drei Personen aus dem Publikum eine Partie Whist spielte. Psycho saß dabei auf einer Holzbox, die auf einem Glaszylinder angebracht war. Seine Karten lagen vor ihm, und wenn er an der Reihe war, ergriff Psycho die jeweils benötigte Karte mit der rechten Hand und hatte auch eine zu den Spielzügen passende Gestik: „The movements of the figure in imitated meditation, the air of relief with which it lets its head drop when the card is played, were an excellent burlesque, and as amusing as the skill with which it played the game was bewildering.“[30]

Psycho war allerdings nicht Ludwig Haselmayers Erfindung, sondern jene des englischen Zauberkünstlers John Nevil Maskelyne. Dieser hatte den Kartenspielautomaten 1875 in London präsentiert und damit viel Aufsehen erregt. Vermutlich hatte Haselmayer den originalen Psycho[31] während seines Europaaufenthaltes in den späten 1870er Jahren kennengelernt und sich eine Kopie anfertigen lassen.

Begeisterung löste, wie den Zeitungen zu entnehmen ist, auch das Finale von Haselmayers Auftritten aus. „Electric Spark Illuminations“ lautete der Titel dieses Programmpunkts, bei dem mithilfe von sogenannten „Geissler-Röhren“ (mit Gasen gefüllte Glasröhren, in die zwei Elektroden eingeschmolzen sind) farbige Lichteffekte erzeugt wurden. Den Abschluss bildete dabei eine Anordnung von besonders langen Röhren, aus denen „God Save the Queen“ erstrahlte.“[32

IN AUSTRIA VERGESSEN, IN AUSTRALIA EIN STAR
Zwischen 1880 und 1882 absolvierten Ludwig und Wilhelmine Haselmayer ausgedehnte Tourneen quer durch Australien und Neuseeland. Im Frühjahr 1883 waren die beiden in Thailand und China unterwegs[33], danach hatten sie, im Mai 1883, Auftritte im japanischen Nagasaki[34]. Dann ging es weiter nach Indien, wo sie, bis ins Frühjahr 1884, in zahlreichen Städten auftraten[35]. Allerdings erkrankte Ludwig Haselmayer während der Indien-Tournee an Malaria[36]. Er sagte alle weiteren Auftritte ab und reiste nach Wien, wo er in Dornbach (damals noch Vorort) ein Haus besaß. Am 19. April 1885 starb er dort, 45-jährig, an den Folgen der Krankheit und wurde auf dem Friedhof Dornbach begraben[37].

Bis auf das „Educated Birds“-Plakat in der Wiener Albertina scheint es in Haselmayers Geburtsstadt keine Erinnerungen an den einst so erfolgreichen Magier zu geben. Schon zu Lebzeiten wurde er hier kaum wahrgenommen: Außer den Ankündigungen seiner frühen Wiener Auftritte finden sich in den Zeitungen nur ein paar kurze Notizen und nichts über eventuelle Veranstaltungen in anderen europäischen Städten. Als 1899 die in Hamburg erschienene Zeitschrift „Die Zauberwelt. Illustrirtes Journal für Salon-Magie und moderne Wunder“ einen zweiteiligen Beitrag über Ludwig Haselmayer brachte, vermerkte darin der Autor W. Lukesch, dass Haselmayer „trotzdem er in Wien geboren, bis zu seinem zwanzigsten Jahre hier lebte, ja, später wieder Jahre hier zubrachte, in seiner Vaterstadt und in Europa fast unbekannt war.“[38] Ganz anders war das außerhalb Europas, vor allem in Australien und Neuseeland. Dort wurde ausführlich über ihn berichtet, und auf der Basis von zahllosen Artikeln lassen sich seine Auftritte vielfach bis ins Detail nachvollziehen.

Ludwig Haselmayer hatte seine Karriere strategisch geschickt geplant, und er wusste, wo und wie er Erfolg haben konnte: Die „Zauberei“ hatte im Laufe des 19. Jahrhunderts eine starke Aufwertung erfahren und sich weg vom früheren Gauklertum und hin zu einer sozial anerkannten Bühnenkunst entwickelt. Die zunehmende Technisierung ermöglichte neue, ausgeklügelte Tricks und ließ die Auftritte zu Illusions-Shows werden. Diese stießen auf breites Interesse – und damit war auch die Konkurrenz der Magier um die Gunst des Publikums in Europa entsprechend groß. In Australien und Neuseeland hingegen gab es ein Publikum, das noch wenig Zugang zu diesen neuen Formen populären Entertainments gehabt hatte. Diesem konnte Haselmayer Neues, Noch-nie-Gesehenes bieten – vor allem, da er nicht nur in den großen Städten auftrat, sondern auch durch abgelegene Regionen tourte. Man wusste dies zu schätzen – so etwa schrieb die neuseeländische „Lyttelton Times“, dass der Kartenspielautomat Psycho zwar nicht Haselmayers Erfindung sei, aber: „Professor Haselmayer deserves great credit for introducing ‚Psycho‘ to this part of the world“[39]

Ludwig Haselmayer, der übrigens, wie eine Zeitung vermerkte, „delightful, broken English“[40] sprach, wurde zum Star – oder, wie es der „Sydney Punch“ (mit englischer Aussprache von Haselmayers Namen) formulierte: „The most popular Mayor in Sydney – Haselmayer“.[41]

[1] The Ottawa Free Trader, 24.12.1870, S. 1.
[2] Pfarre Wien-Atzgersdorf, Taufbuch 1835–1843 (Sign. 01-07), S. 97. Als Beruf des Vaters ist „Fabriksbuchhalter“ angegeben.
[3] Anton Varry (1813–1862, eigentl. Anton Löger) war Schauspieler, Journalist und Bühnenschriftsteller. Die von ihm begründete „Varryʼs Liederspielhalle“ gab ihre erste Vorstellung am 11. April 1860 im Veranstaltungssaal des Wiener Kaffeehauses „Ungers Casino“ und trat in der Folge auch in weiteren renommierten Wiener Vergnügungsetablissements, wie z.B. „Zum Sperl“, „Drehers Etablissement“ und „Schwender“, auf. „Varryʼs Liederspielhalle“ war zunächst sehr erfolgreich und gab 1860 und 1861 in Wien zahlreiche Vorstellungen. Bald aber ließ das Publikumsinteresse nach und im Frühjahr 1862 wurde die „Liederspielhalle“ aufgelöst. Die „Wiener Theater-Chronik“ (25.9.1862, S. 155) schrieb dazu im Nachruf auf den am 15. September 1862 verstorbenen Anton Varry, dass die Liederspielhalle „Anfangs großen Anklang fand, aber als die Wiener fast nichts als Lieder zu hören bekam[en], da ermüdete es sie bald, denn sie wollten bei ihrem Glase Bier herzlich lachen, und gerade dafür sorgte Varry zu wenig.“
[4] Detailliert beschrieben ist der Trick Haselmayers z.B. in der neuseeländischen Zeitung „The Lyttelton Times“, 4.4.1872, S. 2.
[5] Bis zu deren Auflösung im Frühjahr 1862 wirkte Ludwig Haselmayer wiederholt bei „Varryʼs Liederspielhalle“ mit, und auch danach trat er in diversen Wiener Vergnügungslokalen auf (siehe z.B.: Der Zwischen-Akt, 1.12.1862, S. 12, Veranstaltung im „Großen Zeisig“; Fremden-Blatt, 12.3.1864, S. 19, Veranstaltung bei „Schwender“).
[6] Die Bezeichnung „Prestidigitateur“ bzw. „Prästidigitateur“ für einen Zauberkünstler wurde im 19. Jahrhundert aus dem Französischen ins Deutsche und Englische übernommen und bis ins frühe 20. Jahrhundert häufig verwendet. Ebenfalls aus dem Französischen stammt der synonyme und ebenfalls damals vielfach gebrauchte Begriff „Escamoteur“.
[7] Baltimore Wecker, 14.11.1865, S. 3.
[8] Baltimore Wecker, 15.11.1865, S. 3.
[9] Wie es zur Bezeichnung „Stylocarfe“ kam, konnte nicht eruiert werden. Die Erwähnungen des Instruments im „Baltimore Wecker“ bzw. im „Täglichen Baltimore Wecker“ legen nahe, dass es „das“ Stylocarfe heißt.
[10] So etwa erschienen 1870 im Musikverlag Armand Blackmar in New Orleans die Noten zu mehreren Kompositionen von Ludwig Haselmayer. Ein Exemplar davon, die „Aerial Bell Polka“, ist in der Sammlung der Library of Congress erhalten geblieben.
[11] Das „rock harmonicon“ oder „stone xylophone“ war ein im 19. Jahrhundert v.a. im englischsprachigen Raum beliebtes Instrument, bei dem die Klangkörper aus Stein sind.
[12] The Lyttelton Times, 4.4.1872, S. 2.
[13] The Express and Telegraph, 22.1.1873, S. 3.
[14] Brewster-Jones, H.: Pioneers and Problems. South Australia’s Musical History. In: The Australian Musical News, 1.10.1936, S. 28.
[15] New York Herald, 16.9.1865, S. 4.
[16] The Lyttelton Times, 4.4.1872, S. 2.
[17] The Auckland Star, 12.2.1872, S. 2.
[18] The Queenslander, 4.6.1874, S. 1.
[19] Sydney Punch, 27.2.1874, S. 8.
[20] New Orleans Republican, 13.5.1870, S. 5.
[21] The Lyttelton Times, 1.4.1872, S. 2.
[22] The Lyttelton Times, 1.4.1872, S. 2.
[23] The Lyttelton Times, 9.4.1872, S. 3. Die Begründung lautete, dass auf Antrag eines Stadtrats Haselmayers Werbemaßnahme deshalb zu entfernen sei, weil einige Zeit zuvor „the request of M. Fleury to erect a signboard over the footpath was disallowed, and he thought that everybody should be treated alike.”
[24] City of Sydney, Archives & History Resources, Source system ID26/164/453.
[25] Im Wiener Adressbuch „Adolph Lehmannʼs allgemeiner Wohnungs-Anzeiger“ ist Haselmayer 1876 (4., Wohllebeng. 14), 1877 (Penzing, Parkg. 66), sowie 1878 und 1879 (7., Kaiserstr. 17) zu finden.
[26] Wilhelmine Weimer wird in den Quellen meist „Madame Haselmayer“ genannt. Ihr Geburtsname ist aus einer Notiz in Melbourne publizierten Zeitschrift „The Argus“ (16.7.1881, S. 1.) erschließbar, bei der dem Namen Haselmayer ein „neé Wilhelmine Weimer“ beigefügt ist.
[27] The Bulletin, 20.3.1880, S. 4.
[28] The Weekly Times, 11.9.1880, S. 17.
[29] The Weekly Times, 11.9.1880, S. 17.
[30] The Ballarat Star, 12.11.1880, S. 3.
[31] Der originale Psycho befindet sich seit 1934 im Museum of London.
[32] The Weekly Times, 11.9.1880, S. 17.
[33] s. The Hongkong Telegraph, 3.3.1883, S. 2.
[34] s. The Hongkong Telegraph, 29.5.1883, S. 2.
[35] s. u.a. The Times of India, 11.12.1883, S. 3; und The Lorgnette, 27.3.1884, S. 4.
[36] s. Australian Variety Theatre Archive, Practitioners, Professor Louis Haselmayer. Popular Culture Entertainment: 1850-1930.
[37] Pfarre Wien-Dornbach, Sterbebuch 1874–1898 (Sig. 03-07), S. 72. Als Todesursache ist „Lungenödem“ angegeben.
[38] Die Zauberwelt. Illustrirtes Journal für Salon-Magie und moderne Wunder. 1.8.1899, S. 113ff. (Teil 1 des Beitrags) und 1.9.1899, S. 129ff. (Teil 2). Magic Christian wird herzlich für den Hinweis und die Übermittlung dieser Publikation gedankt.
[39] The Lyttelton Times, 23.12.1880, S. 5.
[41] Oamaru Mail, 16.12.1880, S. 2.
[41] Sydney Punch, 20.3.1874, S. 3.

3.4.2022

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