VERRÜCKT NACH ANGELIKA

„The whole world is Angelicamad“, meinte ein englischer Zeitgenosse über Angelika Kauffmann[1]. Tatsächlich war Kauffmann (1741–1807), deren Œuvre weit über eintausend Ölgemälde, Zeichnungen und Radierungen umfasst, die berühmteste und erfolgreichste Malerin ihrer Epoche. Und sie war auch eine tüchtige Geschäftsfrau, die es verstand, ihr bald beträchtliches Vermögen umsichtig zu verwalten und zu vermehren. Auch damit war sie in jener Zeit, in der wenige Frauen ökonomisch unabhängig und eigenverantwortlich agierten, eine absolute Ausnahmeerscheinung.

Angelika Kauffmann, Selbstporträt, 1771
Angelika Kauffmann, Selbstporträt, 1771
Angelika Kauffmann, Selbstporträt, 1784
Angelika Kauffmann, Selbstporträt, 1784
Angelika Kauffmann, Selbstporträt als die Muse der Malerei, 1787
Angelika Kauffmann, Selbstporträt als die Muse der Malerei, 1787

Den Hauptteil von Angelika Kauffmanns Œuvre bilden Porträts. Es war dieses Genre, das die Künstlerin zum Star machte, denn wer in der begüterten Gesellschaft der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etwas auf sich hielt, ließ sich von Kauffmann malen. Die im schweizerischen Chur geborene Künstlerin, die zunächst in Rom, dann fünfzehn Jahre lang in London und später wieder in Rom repräsentative Ateliers führte, schuf Porträts von Königinnen und Fürsten ebenso wie von Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst.

Kauffmanns Bilder seien, so meinte ihr Malerkollege Johann Heinrich Füssli, von überragender Qualität in „Wahrheit, Ausdruck und Zeichnung“ – und Füssli nannte dazu auch ein Beispiel: „Ich erinnere mich kein schöneres Porträt gesehen zu haben, als das von dem Schauspieler Garrick (…) von ihrer Hand.“[2]

Porträtsitzungen bei Angelika Kauffmann waren ein gesellschaftliches Ereignis, bei dem immer auch Zuschauer*innen anwesend waren. Jeder wollte die attraktive Künstlerin, die von ihren englischen Fans „Miss Angel“ genannt wurde, kennenlernen. Man schwärmte vom Charme und der Klugheit der Malerin, die sehr belesen war, vier Sprachen – Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch – beherrschte und auch als hervorragende Sängerin galt.

Angelika Kauffmann, Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei, 1794
Angelika Kauffmann, „Selbstbildnis am Scheideweg zwischen Musik und Malerei“, 1794

Doch obwohl Angelika Kauffmann die, wie der Schriftsteller und Philosoph Johann Gottfried Herder meinte, „vielleicht kultivierteste Frau in Europa“[3] war, gab es auch so manche Vorbehalte gegen die Künstlerin, die nicht ins Schema der gängigen Rollenzuweisungen passte. Das klingt auch in jenem oft zitierten Urteil an, das Johann Wolfgang von Goethe über die Kauffmann fällte. Der Schriftsteller hatte sie während seiner Italienreise in Rom kennengelernt, war oft zu Gast in ihrem Atelier, ließ sich von ihr porträtieren und meinte über die Malerin: „Sie hat ein unglaubliches und als Weib wirklich ungeheures Talent.“[4] Goethe wollte also die Fähigkeiten seiner „besten Bekanntschaft hier in Rom“ durchaus mit Einschränkungen sehen: ein ungeheures Talent, aber eben nur „als Weib“ – nicht zu vergleichen mit einem Mann. Wesentlich schärfer als Goethe formulierte August Wilhelm Schlegel sein Urteil über Angelika Kauffmann: „Ihren Jünglingen sieht es aus den Augen, dass sie gar zu gern einen Mädchenbusen hätten, und wo möglich auch solche Hüften“[5], ätzte der deutsche Philosoph, dem es offenbar nicht leicht fiel, die künstlerischen Fähigkeiten der Malerin anzuerkennen.

Mit derartigen Vorbehalten waren Schlegel und Goethe unter den Zeitgenossen durchaus nicht alleine. Denn Frauen, so war man(n) überzeugt, hätten nicht das Zeug zum Künstlertum, Malerei wäre für sie kaum viel mehr als ein Zeitvertreib, bestenfalls könnten sie mit romantischen Blumenbildern oder kleinen Porträts reüssieren, niemals aber mit Männern konkurrieren. Doch genau dies tat Angelika Kauffmann – und war dabei so erfolgreich, dass sie 1768 in den Kreis der 34 Gründungsmitglieder der „Royal Academy of Arts“ in London aufgenommen wurde. Diese Anerkennung wurde nur zwei Frauen zuteil: der Malerin Mary Moser und eben Angelika Kauffmann.

Als der aus Deutschland stammende Maler Johann Zoffany, der 1769 in die Akademie aufgenommen wurde, mit dem Gemälde „The Academicians of the Royal Academy“ eine erste repräsentative Selbstdarstellung des illustren Künstlerkreises schuf, waren Mary Moser und Angelika Kauffmann dabei allerdings nur in Form von Porträts an der Wand präsent. Zoffany hatte für sein Bild die Künstlerschar im Aktsaal der Royal Academy platziert – und damit Moser und Kauffmann bewusst von der Versammlung ausgeschlossen. Denn der Aktsaal war für Frauen tabu, das Aktstudium war ihnen verboten.

Johann Zoffany, The Academicians of the Royal Academy, 1771/1772
Johann Zoffany, The Academicians of the Royal Academy, 1771/1772

Angelika Kauffmann schaffte es, sich über alle Vorbehalte, Beschränkungen und Behinderungen hinwegzusetzen und sich mit einem hohen Maß an Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen ihren Platz in der zeitgenössischen Kunstszene zu erkämpfen. Vor allem war sie, wie vielen zeitgenössischen Berichten zu entnehmen ist, ungeheuer fleißig. „Man kann viel von ihr lernen; besonders arbeiten, denn es ist unglaublich, was sie alles endigt“[6], vermerkte Johann Wolfgang von Goethe.

Die prägende Persönlichkeit im Leben von Angelika Kauffmann war wohl ihr Vater. Johann Joseph Kauffmann (1707–1782) war ebenfalls Maler, er schuf Porträts und Landschaftsbilder und war hauptsächlich mit Wandmalereien in Schlössern und Kirchen beschäftigt. Sehr früh erkannte Kauffmann das künstlerische Talent seiner Tochter, förderte sie in jeder ihm möglichen Weise und widmete sich sein Leben lang ihrer Karriere. Bis zu seinem Tod lebte Johann Joseph Kauffmann bei seiner Tochter, die – vermutlich auf seinen Rat hin – 1781, als 40-Jährige, den um einiges älteren venezianischen Maler Antonio Zucchi (1726–1795) heiratete.

Angelika Kauffmann, Selbstporträt in Bregenzerwälder Tracht, 1781
Angelika Kauffmann, Selbstporträt in Bregenzerwälder Tracht, 1781
Angelika Kauffmann, Porträt ihres Vaters Joseph Johann Kauffmann, um 1761–1764
Angelika Kauffmann, Porträt ihres Vaters Joseph Johann Kauffmann, um 1761–1764
Angelika Kauffmann, Porträt ihres Ehemannes Antonio Zucchi, 1781
Angelika Kauffmann, Porträt ihres Ehemannes Antonio Zucchi, 1781

Angelika Kauffmann – oder, wie sie mit vollem Namen hieß: Anna Maria Angelika Katherina Kauffmann – wurde am 30. Oktober 1741 in Chur geboren, woher ihre Mutter stammte und wo ihr Vater damals als fürsterzbischöflicher Hofmaler tätig war. Später lebte die Familie in Morbegno bei Sondrio, dann in Como und in Mailand. Angelika, die bereits als 12-Jährige mit einem Porträt des Bischofs von Como von sich reden gemacht hatte, war bald weithin als „Wunderkind“ bekannt. 1757 starb die Mutter, und Angelika Kauffmann übersiedelte mit dem Vater in dessen Geburtsort, nach Schwarzenberg im Bregenzerwald. Gemeinsam übernahmen die beiden die Ausmalung der Pfarrkirche, wobei die 16-jährige Angelika die zwölf Aposteldarstellungen schuf. Es folgten weitere Aufträge im Bodenseeraum, bis Tochter und Vater 1760 wieder nach Italien zogen.

„Wie offt bin ich in gedanken im vatterland und wie sehr wünsche ich selbes wieder zu sehen“[7], schrieb Angelika Kauffmann 1788 in einem Brief an einen Verwandten in Schwarzenberg. Ihr Leben lang blieb das Dorf im Bregenzerwald, in das sie nur noch ein Mal für kurze Zeit zurückkehrte, ihr Sehnsuchtsort und immer wieder bezeichnete sie es als ihre eigentliche Heimat. Über Jahrzehnte hinweg erhielt die Verwandtschaft in Schwarzenberg von ihr finanzielle Unterstützung, und als Angelika Kauffmann am 5. November 1807 in Rom starb, ging der Hauptteil ihres beträchtlichen Vermögens testamentarisch an die Familie im Bregenzerwald.

Angelika Kauffmann Museum Schwarzenberg, Außenansicht. Foto: Marion Hirschbühl
Angelika Kauffmann Museum Schwarzenberg. Foto: Marion Hirschbühl

An die Künstlerin erinnern in Schwarzenberg der nach ihr benannte Konzertsaal, in dem allsommerlich die Konzerte des renommierten Schubertiade-Festivals stattfinden, sowie das in einem typischen Bregenzerwälder-Haus untergebrachte Angelika Kaufmann-Museum mit seinen wechselnden Sonderausstellungen zu Leben und Werk der Malerin.

[1] Der in London tätige Diplomat Gottlob Friedrich Ernst Schönborn berichtete dies im Oktober 1781 in einem Brief an den Schriftsteller Friedrich Gottlieb  Klopstock. In London gebe es, so Schönborn, eine ungeheure Nachfrage nach Kauffmanns Bildern und nach Kopien davon in Form von Kupferstichen: „Alles wird weggerissen was von ihr kommt. Ein Kupferstecher hier, der fast nichts als ihre Gemählde stickt, sagte mir einmahl the whole World is angelicamad“. Briefe von und an Klopstock. Hg. v. J. M. Lappenberg, Braunschweig 1867, S. 305.
[2] Zit. nach: Gabriele Katz: Angelika Kauffmann. Künstlerin und Geschäftsfrau. Stuttgart 2012, S. 38.
[3] Brief Johann Gottfried Herders an seine Ehefrau Maria Karoline Herder. Zit. nach: W. Berg: Zum Gedächtnis Angelika Kauffmanns. In: Die Kultur. Vierteljahrschrift für Wissenschaft, Literatur und Kunst. 8. Jg., Wien 1907, S. 406.
[4] Johann Wolfgang von Goethe: Brief aus Rom, 18.8.1787. In: Goethes Italienische Reise. Leipzig 1914, S. 408.
[5] Friedrich Schlegel: Athenäums-Fragmente und andere Schriften. Hg. v. Karl-Maria Guth, Berlin 2016, S. 77.
[6] Johann Wolfgang von Goethe: Brief aus Rom, 23.10.1787. In: Goethes Italienische Reise. Leipzig 1914, S. 442.
[7] Angelica Kauffmann: „Mir träumte vor ein paar Nächten, ich hätte Briefe von Ihnen empfangen“. Gesammelte Briefe in den Originalsprachen. Hg. v. Waltraud Maierhofer. Lengwil 2001, S. 125.

18.8.2023

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