Nicht schwimmen zu können sei ebenso sehr ein Zeichen grober Unbildung wie nicht lesen zu können. Dieser Ansicht war man im antiken Rom – und die Feststellung „neque litteras didicit nec natare“ (jemand habe „weder die Buchstaben noch zu schwimmen erlernt“) war ein gebräuchliches abschätziges Urteil. Wieweit verbreitet das Können in diesen beiden Bereichen tatsächlich war, ist im Detail nicht bekannt.
Heutzutage ist in unseren Breiten die Kenntnis des Alphabets im Allgemeinen gesichert, mit dem Schwimmen hingegen sieht es etwas anders aus. Da hat das Können in letzter Zeit merklich abgenommen. Einer der Gründe dafür ist, dass in den vergangenen Jahren aufgrund der Pandemie viel Schwimmunterricht entfallen ist, ein anderer, dass Baden zwar beliebt, sportliche Betätigung dabei aber nicht allzu gefragt ist. „Die Zahl der Grundschulkinder in Deutschland, die nicht schwimmen können, hat sich verdoppelt“, lautet die alarmierende Meldung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG): Waren es 2017 zehn Prozent, sind es nun 20 Prozent.1) Und die „Schwimmstudie 2022“ des österreichischen „Kuratoriums für Verkehrssicherheit“ ergab: „20 Prozent der Kinder und Jugendlichen und 34 Prozent der Erwachsenen waren im vergangenen Jahr überhaupt nicht schwimmen“ .2)
Durch die gegenwärtige Entwicklung erhöhe sich einerseits, so wird gewarnt, das Risiko für Badeunfälle, und andererseits gehe gesundheitlicher Wert verloren. Denn dass das Schwimmen dem Körper guttut, auch das wussten bereits die alten Römer. So etwa findet sich beim Dichter Horaz die Empfehlung, bei Schlafbeschwerden dreimal den Tiber zu durchschwimmen (wobei allerdings als zusätzlicher Einschlaftipp ergänzt ist, am Abend reichlich Wein zu trinken). Bei Horaz findet sich, in übertragenen Sinne, auch ein Hinweis auf die bis heute wohl bekannteste Schwimmhilfe, nämlich den Schwimmreifen. Mit zunehmender körperlicher und geistiger Reife werde er lernen, „sine cortice“, ohne Kork-Schwimmreifen, zu schwimmen – so habe ihm sein Vater gesagt, berichtet der Dichter.
Dass Menschen schwimmen – sich also „im Wasser in Verbindung von Auftrieb und Vortrieb“3) fortbewegen –, ist seit Jahrtausenden überliefert. Wie gut sie es konnten und wie gerne sie es taten, das änderte sich allerdings immer wieder. So etwa war in der Spätantike nur noch wenig von der früheren römischen Begeisterung für den Schwimmsport vorhanden. Eine interessante These führt dies auf die Entwicklung der Badekultur zurück: Hatte es im Jahr 33 v.u.Z. in Rom 170 Thermen gegeben, so war deren Anzahl bis ins späte 4. Jahrhundert auf 856 angewachsen.4) Es war also nicht mehr nötig, zur Rekreation im Tiber zu schwimmen, wenn man gemütlich in einer der vielen Thermen planschen konnte. Eine Situation also, die durchaus der heutigen ähnelt.
Wenn das Schwimmen in Europa an Prestige verlor und von einem Freizeitvergnügen zum gefährlichen, möglichst zu meidenden Unterfangen wurde, so lag dies an einer durchaus von der Kirche geförderten, zunehmenden Körperfeindlichkeit sowie auch an der vor allem im Mittelalter weitverbreiteten Vorstellung, dass Gewässer unheimliche, von allerlei Monstern bevölkerte Orte seien. Diese hatte man zu meiden, um nicht von bösen Wasserwesen in die Tiefe gezogen zu werden. Reste dieser Vorstellungen finden sich bis heute in volkstümlichen Überlieferungen, in Märchen und Sagen.
Lange Zeit wurde verdrängt, dass Schwimmkenntnisse durchaus ein Schutz gegen das Ertrinken sein können, ja vielfach wurde das Schwimmen sogar verboten. Wer sich nicht daran hielt, hatte mancherorts mit schweren Strafen zu rechnen. So etwa wurde 1571 in der englischen Universitätsstadt Cambridge schwimmfreudigen Studenten öffentliches Auspeitschen angedroht: „If any scholar should go into any river, pool or other water in the county of Cambridge, by day or night, he should […] be sharply and severely whipped publicly“5).
Zwar gab es allmählich ein Umdenken in Sachen Schwimmen, und schon 1538 war in Augsburg das vermutlich allererste Schwimm-Lehrbuch erschienen. „Colymbetes, Sive De Arte Natandi“ lautete der Titel des vom Schweizer Gelehrten Nikolaus Wynmann in lateinischer Sprache abgefassten Werkes. Allerdings stellte noch zweieinhalb Jahrhunderte später der deutsche Pädagoge Johann GutsMuths in seinem „Kleinen Lehrbuch der Schwimmkunst“ fest: „Bisher ist das Ertrinken Mode gewesen, weil das Schwimmen nicht Mode ist“. In außereuropäischen Kulturen sei, so GutsMuths, das Schwimmen weitverbreitet, in Europa aber habe man vergessen, was bei Griechen und Römern ein „Stück der Erziehung war“. Daher frage er „denn nochmals und dringender an: Soll denn das Schwimmen nicht auch bei uns Mode werden?“6)
In Mode kam das Schwimmen im 19. Jahrhundert, als in den europäischen Städten nach und nach Badeanstalten mit integrierten Schwimmschulen eröffnet wurden. Diese waren zunächst hauptsächlich für die Ausbildung des Militärs bestimmt. Eine der ersten Einrichtungen dieser Art war die 1810 eröffnete k. k. Militärschwimmschule in Prag, eine weitere folgte 1813 in Wien und ab 1815 gab es auch in Berlin eine Militärschwimmschule.
Bei den Militärschwimmschulen und auch bei den bald zahlreich vorhandenen zivilen Schwimmbädern handelte es sich oft um sogenannte Badeschiffe oder Badeflöße. Es waren dies Holzkonstruktionen, die in ihrem Aufbau Umkleidekabinen hatten, während sich in der Mitte das Schwimmbecken befand.
Der zunehmenden Begeisterung für das Schwimmen entsprach die ständige Verbesserung in der Ausstattung der Bäder. So etwa berichtete das „Österreichische Morgenblatt“ im Juni 1847 über die „Ferdinand-Marien-Donau-Schwimm- und Badeanstalt“: „Sowohl in der Männer- als Damen-Schwimmschule wurde die Vorrichtung getroffen, dass das Wasser eine sanfte Strömung erhält, wodurch die Möglichkeit erzielt wurde, dass Schwimmer so wie nach abwärts fast eben so leicht und ohne Anstrengung gegen den Strom schwimmen können; die Bäder erhielten aber durch diese Vorrichtung eine größere Strömung, wodurch dem Wunsche der Schwimm- und Badefreunde vollkommen entsprochen wurde, und die Anstalt dadurch an Zweckmäßigkeit ungemein gewonnen hat. Es wurde nämlich in der Mitte des Strombettes ein kostspieliger Damm aufgeführt und ein eigener Wasserkanal errichtet, wodurch sämtlichen Schwimm- und Badeabteilungen stets reines, rasch fließendes Wasser hinlänglich zugeteilt wird.“7)
Die Methoden, nach denen in den Schwimmschulen unterrichtet wurde, variierten – und manchmal stand vor dem ersten Sprung ins Wasser ein entsprechendes „Trockentraining“ auf dem Programm.
Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts war das Schwimmen ein echter Breitensport und ein populäres sommerliches Freizeitvergnügen. Das Prestige, das ihm nun wieder zukam, zeigt sich auch darin, dass es seit den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit, 1896, im Wettkampfprogramm enthalten ist. Zunächst waren dabei allerdings nur Männer zugelassen (der erste Schwimm-Olympiasieger war der Ungar Alfréd Hajós-Guttmann), Frauen durften erstmals 1912 an den olympischen Schwimm-Bewerben teilnehmen (erste Olympiasiegerin war die Australierin Fanny Durack).
1) DLRG: Agenda Schwimmfähigkeit. Schwimmfähigkeit der Bevölkerung 2022.
2) Kuratorium für Verkehrssicherheit: KFV Schwimmstudie 2022.
3) Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Leipzig 2001. Bd 19, S. 643.
4) s. Chaline, Eric: How Europe Learnt to Swim. History Today, 16.7.2018.
5) University of Cambridge, Research news.
6) GutsMuths, J[ohann] C.F.: Kleines Lehrbuch der Schwimmkunst zum Selbstunterrichte. Weimar, 1793. Vorrede, S. VIIIf. (Die Orthografie wurde dem heutigen Standard angepasst).
7) Österreichisches Morgenblatt, 5.6.1847, S. 268 (Die Orthografie wurde dem heutigen Standard angepasst).
29.7.2023