„L‘art est dans la rue“ lautet der Titel einer sehenswerten Ausstellung, die derzeit im Musée d’Orsay in Paris gezeigt wird und die dem Thema „Als die Kunst auf die Straße kam“ gewidmet ist. Anhand von 230 Werken werden dabei die Anfänge des Mediums Plakat in Paris eindrucksvoll illustriert.

Eingehend werden die Anfänge dieser medialen Entwicklung beleuchtet und entsprechend auf die diesbezüglichen Pionierleistungen von Jules Chéret hingewiesen. In Chéret – so schrieb der Wiener Kunsthistoriker Franz Ottmann in der Zeitschrift „Die graphischen Künste“ im Jahr 1914 – finde „das Plakat endlich den Mann, unter dessen Händen es mündig wird.“ Tatsächlich sind die Leistungen von Jules Chéret im Bereich der angewandten Grafik beachtlich und nicht zufällig wurde er von seinen französischen Zeitgenossen als „roi des affiches“, als „König der Plakate“, gewürdigt. Der gelernte Lithograph hatte während längerer Aufenthalte in England die neuesten Technologien im Druckgewerbe kennengelernt.

Mit seinem lithographierten Plakat zu Jacques Offenbachs Operette „Orphée aux enfers“ („Orpheus in der Unterwelt“) kreierte Chéret 1858 den Prototyp für das moderne Plakat: Das Blatt wird von einer farbigen Illustration dominiert, wobei die gezeichnete Schrift eine gestalterische Einheit mit dem Bild erreicht. Diese Innovation war insofern bemerkenswert, als es davor im Wesentlichen nur wenig attraktive Textanschläge im Bereich der Straßenreklame gegeben hatte. So wurde Jules Chéret mit dem gekonnten Einsatz der Farblithographie einer der bedeutendsten Initiatoren des Bildzeitalters, das im 19. Jahrhunderts seinen Anfang nahm und dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Die Fülle an Bildplakaten, die Chéret selbst produzierte, war ebenfalls gewaltig: Es waren über 1.000 Blätter. Konsequent erarbeitete er eine Gestaltungssprache, die auf die Reduktion von Farben und Formen setzte und so beispielgebend für gut funktionierende Außenwerbung bis heute geworden ist.

In der aktuellen Pariser Ausstellung geht man auf eine faszinierende Zeitreise in das Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es geschieht dies mit einer Reihe von Künstlern, denen die Gestaltung von Reklame nicht eine minderwertige Aufgabe war, sondern in der sie eine interessante Herausforderung sahen. Prominente Namen, wie Édouard Manet, Alphonse Mucha, Pierre Bonnard, Théophile Alexandre Steinlen oder Henri Toulouse-Lautrec, sind hier zu nennen.

Was die Ausstellung so spannend macht, ist der Ansatz, dass die Verantwortlichen die Werke nicht nur nach künstlerischen Aspekten präsentieren, sondern ebenso in ihren kulturhistorischen und sozialgeschichtlichen Kontext stellen. Nicht nur mit Plakaten, sondern auch mit Fotografien, Filmen, Kostümen und historischen Objekten, wie etwa einer lithografischen Druckpresse, wurde hier eine detailreiche Installation zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts geschaffen.

Besonders beachtenswert ist in der Schau die redliche Art des Umgangs mit den Plakatobjekten. Während andernorts in Museen Plakate oft nur in Form von billigen Farbkopien entweder als Hintergrundtapete gezeigt werden oder diese Kopien sogar als selbständige Ausstellungen angeboten werden, ist es schon eine Besonderheit, dass in Paris nur Originalplakate mit all ihrer historischen Aura präsentiert werden.

Zur Ausstellung, die vom Musée d’Orsay gemeinsam mit der Bibliothèque nationale de France konzipiert wurde, ist auch ein repräsentativer Katalog – allerdings nur auf Französisch – erschienen.
L’art est dans la rue. Musée d’Orsay, Esplanade Valéry Giscard d’Estaing, 75007 Paris. Bis 6. Juli 2025.
Die in diesem Beitrag gezeigten Abbildungen stammen nicht aus der Presseabteilung des Musée d’Orsay, sondern beruhen auf eigenen Bildrecherchen, um einen Eindruck von den in der Ausstellung gezeigten Objekten vermitteln zu können.
8.4.2025