„Dürer. Munch. Miró. The Great Masters of Printmaking” lautet der Titel einer großangelegten Ausstellung, in der die Wiener Albertina einen Querschnitt durch die Geschichte der Druckgrafik präsentiert. Der Bogen reicht dabei vom späten Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, von Martin Schongauer bis Marc Chagall, von Goya bis Toulouse-Lautrec, von Rembrandt bis Käthe Kollwitz. Zu sehen sind 169 Werke, die alle aus dem rund 950.000 Blätter umfassenden Bestand der Albertina stammen. Dazu Christof Metzger, der Kurator der Schau: „Es dürfte keine andere Sammlung weltweit geben, die 600 Jahre Geschichte der grafischen Künste mit so herausragenden Stücken präsentieren kann. Für unser Haus gehört neben dem Sammeln von Zeichnungen auch das systematische Erfassen hochqualitativer Druckgrafik zu den Statuten. Seit ihrer Gründung durch Albert von Sachsen-Teschen im Jahr 1776 wurden aber nicht nur die Komplettierung und Abrundung der historischen Bestände angestrebt, sondern immer auch die Erweiterung mit Werken der zeitgenössischen Kunst.“
Christof Metzger konnte also für die Gestaltung der sehenswerten Schau aus dem Vollen schöpfen. Im folgenden Interview gibt er Auskunft über die Geschichte der Druckgrafik und über einige der Künstler*innen, deren Werke in der Ausstellung zu sehen sind.
Metzger: Am Anfang war das Papier. Mit der Eröffnung der ersten Papiermühle im deutschsprachigen Raum im Nürnberg des Jahres 1390 stand ein Massenprodukt zur Verfügung, das bald eine Medienflut auslösen sollte. Mit dem Aufkommen des Holzschnitts im frühen 15. Jahrhundert, des Kupferstichs in den 1430er Jahren und der Radierung kurz vor 1500 war die Druckgrafik zu einer eigenständigen Kunstgattung geworden. Anfangs nur als eine schnelle Reproduktionstechnik begriffen – etwa für Andachtsbilder oder Objekte des Alltagsbedarfs –, sollte die Grafik der Malerei allmählich ebenbürtig und mit Künstlern wie Albrecht Dürer sogar höherrangig werden. Damit wandelte sich die Kunst auch zu einem Massenmedium. Endlich war es einer großen Zahl von Menschen möglich geworden, an Kunstwerke zu gelangen.
Holzer: Der erste Name im Ausstellungstitel ist jener von Albrecht Dürer, der wohl einer der berühmtesten Künstler in der Geschichte der Druckgrafik ist. Immerhin sind in seiner Werkstatt über 100 Stiche und Radierungen und nicht weniger als 260 Holzschnitte sowie rund 20 mit Holzschnitten illustrierte Bücher entstanden. Als Coverabbildung für den Katalog zur Schau aber wurde „Phaeton“ gewählt, ein „Himmelstürmer“ aus der griechischen Mythologie, der wegen seines anmaßenden Verhaltens mit dem Sturz aus dem Himmel bestraft wird. Geschaffen wurde dieser Kupferstich 1588 von Hendrick Goltzius – und das ist ein Name, der dem breiten Publikum vermutlich nicht so bekannt ist. Wer war dieser Künstler?
Metzger: Im späten 16. Jahrhundert kam es in den Niederlanden zu einer neuen Hochblüte des Kupferstichs. Die herausragende Person ist hier der Haarlemer Hendrick Goltzius. Er übersetzte mit höchster technischer Virtuosität Vorlagen anderer Künstler aber auch zahlreiche eigene Bilderfindungen mit unglaublicher stecherischer Brillanz in Kupfer. Berühmt wurde er aber nicht nur durch die Verfeinerung der druckgrafischen Technik, sondern vor allem durch raffinierte Kompositionen und spektakulär bewegte Figurenposen wie bei den „Himmelstürmern“. Seine in Kupfer gestochenen antiken Götter und biblischen Helden stellen einen absoluten Höhepunkt der niederländischen Druckgrafik dar.
Holzer: Worin liegt nun der Unterschied zwischen den frühen Drucktechniken und der Radierung, so wie sie Rembrandt, der natürlich auch in der Ausstellung vertreten ist, vervollkommnete?
Metzger: Für die Radierung (der Begriff kommt vom lateinischen „radere“, was „kratzen“ oder „schaben“ bedeutet) wird eine Metallplatte mit einer säureresistenten Schicht aus Wachs oder Harz überzogen. In diesen sogenannten Ätzgrund zeichnet der Künstler ohne den geringsten Kraftaufwand und ohne spezielle technische Fertigkeiten, wie sie Holzschnitt und Kupferstich erfordern, mit einer Radiernadel das Motiv. Entlang der gezeichneten Linien wird die Metallplatte wieder freigelegt. Die Platte wird nun in ein Ätzbad gelegt, wodurch das Metall an den freigeritzten Stellen der Säure ausgesetzt wird. Die Platte kann dann wie eine Kupferstichplatte eingefärbt und in einer Presse abgezogen werden.
Rembrandt schöpfte wie kein anderer Meister vor ihm aus dem innovativen Potenzial der Radierkunst. Im Vergleich zum Kupferstich erlaubte die Technik eine flüssigere und feinere Modellierung der Linienzüge. Schlussendlich steht die Radierung der Handzeichnung sehr nahe und bewahrt die individuelle Strichführung des Künstlers.
Holzer: Ein weiterer Abschnitt in Ihrer Ausstellung ist der Lithografie in Frankreich gewidmet. Zu sehen ist da unter anderem die 1871 entstandene Lithografie „Die Barrikade“ von Édouard Manet – also ein Werk mit damals aktuellster Thematik. Kommen mit der Lithografie auch andere künstlerische Inhalte zu Tage oder ist sie einfach nur eine andere Technik?
Metzger: Wie die Radierung ermöglicht es die Lithografie, den Duktus, das Gestische der Künstlerhand zu bewahren. Mit fetthaltiger Kreide oder Tusche zeichnet oder malt der Künstler direkt auf eine feinporige Kalksteinplatte. Für den Druck wird der Stein gewässert. Dadurch werden die blanken Stellen fettabstoßend. Die Druckerfarbe haftet nur an den bezeichneten oder bemalten fettannehmenden Partien.
In der Zeit der Romantik erreichte die Lithografie in Frankreich einen ersten Höhepunkt. Auch Édouard Manet arbeitete gelegentlich in dieser Technik (übrigens bezweifelte der einflussreiche Dichter Charles Baudelaire die künstlerische Qualität von Manets Lithografien). Seine Themen fand er im Alltag, dem gesellschaftlichen Leben und in bedeutenden Tagesereignissen. Mitunter kritisiert Manet politische Zu- und Missstände und erntete dafür auch Zensur. In seinem berühmten Ölbild „Die Erschießung Maximilians von Mexiko“ etwa prangerte er die unrühmliche Rolle der französischen Truppen im Zusammenhang mit der Exekution des Habsburgers durch mexikanische Revolutionstruppen an. Daraufhin wurde ihm die Veröffentlichung sowohl des Gemäldes als auch der dazugehörenden Lithografie verboten und der Stein zerstört.
Holzer: Kommen wir jetzt nach Wien, zum Farbholzschnitt, der den Jugendstil in seiner reinsten Form zeigt.
Metzger: Der Farbholzschnitt ist eine der großen technischen und ästhetischen Wiederentdeckungen der vorletzten Jahrhundertwende. Für seine Entwicklung spielte die Wiener Secession eine zentrale Rolle. Kennzeichnend sind die höchste Erlesenheit der Darstellungen und die Virtuosität in der handwerklichen Ausführung. Die Betonung von Umrisslinien, die vom Japonismus inspirierte Stilisierung und Verflachung der Motive und das Spiel mit Farbkontrasten entsprachen genau dem neuen Formideal des Jugendstils. Die dekorativen Darstellungen von eleganten Damen oder exotischen Tieren bedienten den Geschmack eines kultivierten Publikums, das sich ganz in eine vergeistigte Welt der Schönheit zurückzuziehen suchte.
Holzer: Was ein durchgehender Beweggrund für Druckgrafik zu sein scheint, ist die kommerzielle Überlegung, dass Drucke im Vergleich zu Gemälden billiger und somit leichter zu verkaufen seien. Dieses Thema wird in der Ausstellung bei Edvard Munch zur Sprache gebracht, der ja die Lithografie auch wesentlich weiterentwickelt hat.
Metzger: In der Tat ist Munchs druckgrafischen Œuvre imposant wie keines zuvor oder danach. Es ist mit über 750 Sujets in etwa 30.000 Abzügen erhalten. Wie Sie richtig bemerken, entstanden seine ersten Druckgrafiken mit durchaus merkantilen Absichten. Erst später, wohl bei seinem Paris-Aufenthalt 1896, erkannte Munch die der Malerei gleichrangigen, eigenständigen Ausdruckswerte der Farblithografie, der Radierung und des Holzschnitts.
Holzer: Aus einer ganz anderen künstlerischen Welt scheint der Katalane Joan Miró zu stammen. Nach Dürer und Munch ist er der dritte Grafiker im Ausstellungstitel – seine 1974 entstandene Radierung aber ist „Ohne Titel“. Und der Titel des Wandtextes in der Ausstellung und auch des Katalogbeitrags lautet „Form follows Fiction“. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Metzger: „Form follows fiction“ sind drei Schlagwörter aus der zeitgenössischen Architekturtheorie. Geprägt wurde die Moderne ja durch das Motto „form follows function“, also aus der Idee, dass Probleme der Architektur von innen nach außen gelöst werden, vom Grundriss zur Baugestalt. Dagegen stehen Architekturen wie jene von Frank Gehry oder Zaha Hadid, die als fertige Bilder im Kopf entstanden, denen im weiteren Planungsprozess die notwendigen Funktionen eingeschrieben werden. Entsprechend überschreitet das Werk Joan Mirós die akademischen Grenzen der Malerei und öffnet sich Träumen, dem Unbewussten, dem Zufall. Alles ist musikalisch bewegt, spielerisch schwingend. Das Repertoire seiner symbolischen Bildelemente umfasst ins Abstrakte gehende kindliche Gestalten, die wie Monster wirken, Sterne und Sonnen. Ihre Interpretation bleibt aber ungewiss oder liegt – wie so oft in der Kunst – im Auge des Betrachters.
Die Ausstellung „Dürer. Munch. Miró. The Great Masters of Printmaking“ ist bis 14. Mai 2023 in der Wiener Albertina zu sehen. Eine Ergänzung dazu zeigt die zeitgenössische Sammlung des Hauses, die im Wiener Künstlerhaus beheimatete Albertina modern. Unter dem Titel „Andy Warhol bis Damien Hirst. The Revolution in Printmaking“ werden dort Werke internationaler Druckgrafik, die nach 1960 entstanden sind, präsentiert.
24.2.2023