KLEINE DINGE IM STADTRAUM

Vittorio Magnago Lampugnani ist ein italienischer Architekt, er entwirft Wohnanlagen, Bürogebäude, Uferpromenaden und vieles andere. Außerdem ist er auch Hochschullehrer, Architekturtheoretiker und -historiker. Wenn er durch Städte geht, schaut er auf die Fassaden der Häuser und auch auf die kleinen, scheinbar belanglosen Dinge: U-Bahneingänge, Schilder, Kioske, öffentliche Toiletten, Brunnen, Straßenlampen, Briefkästen, Fahrradständer und noch vieles mehr. Mini- oder Mikroarchitekturen nennt er dieses Mobiliar des öffentlichen Raums – und er meint, dass es sich von Stadt zu Stadt in vielen Dingen unterscheidet.

London, Stationsschild der Elizabeth Line in Farringdon
London: Stationsschild der Elizabeth Line in Farringdon. Alle Fotos in diesem Beitrag: B. Denscher

Diese Mini- oder Mikroarchitekturen sind „funktional, technisch und ökonomisch bestimmt“, sowohl anonym als auch individuell, bescheiden und dennoch bildprägend. Sie tragen – nur scheinbar belanglos – überraschend bedeutsam zur Kultur einer Stadt bei. Deshalb nennt Lampugnani sein Buch rund um die kleinen Dinge im Stadtraum „Bedeutsame Belanglosigkeiten“. Der Band ist erstmal 2019 erschienen und nun in einer völlig überarbeiteten Neuausgabe herausgekommen. Gegliedert ist der Text in drei Kapitel, überschrieben mit „Mikroarchitekturen“, „Objekte“ und „Elemente“. Die „Mikroarchitekturen“ reichen von öffentlichen Toiletten bis zu Metroeingängen, „Objekte“ sind für Lampugnani unter anderem Denkmäler, Stadtuhren und Straßenschilder, zu den „Elementen“ zählt er Schaufenster, Bodenbelag und Schachtdeckel.

Orientierungsschilder in Bayreuth
Bayreuth

Lampugnani äußert sich auch durchaus kritisch, zum Beispiel darüber, dass es heute kaum mehr Stadtarchitekten gebe: „Weil diese Position in der Verwaltung faktisch abgeschafft wird, um der Politik mehr Spielraum zu gewähren.“ Gestaltung und Unterhalt zum Beispiel von Kiosken wird privaten Firmen überlassen, die auf Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und eine gewisse modische Eleganz achten. Doch „Verantwortung für die Stadt und ihre Identität übernehmen sie nicht.“ Natürlich erkennt der Autor, dass etwa Telefonhäuschen als Einrichtungen der Fernsprechkommunikation verschwinden, sieht aber, dass sie zum Teil zu Internet-Kabinen aufgerüstet oder auch zu Mikrobibliotheken umfunktioniert und damit erhalten werden.

Liverpool
Liverpool

Während Lampugnani manches nur knapp skizziert, widmet er anderem, so etwa den Denkmälern oder den Brunnen, längere Abschnitte: detailliert, von Fachwissen unterstützt, aber nie ausufernd. So ist ihm klar, dass Städte teilweise mit Denkmälern „vermüllt“ werden, dass für diese aber – als Orte der Erinnerung – Platz sein muss.

Was die spezielle Qualität dieses Buches ausmacht, ist, dass Lampugnani zwar kritisch, aber ohne Vorurteile durch die Städte geht. Das wird im letzten Absatz, dort, wo es um die Reklame geht, besonders klar. Er sieht in ihr „Verunstaltung und Zierde, Verunklarung und Orientierung, Bedrohung und Bereicherung, Anonymisierung und Identität.“ Genau diese Ambivalenz aber sei es, die den Reiz ausmache.

Berlin
Berlin

Vittorio Magnago Lampugnani: Bedeutsame Belanglosigkeiten. Kleine Dinge im Stadtraum. Erweiterte Ausgabe. Wagenbach Verlag, Berlin 2023.

12.4.2023

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