Sie sind „die Vorstellung einer zeitlosen paradiesischen Glückseligkeit“, schreibt die Kunsthistorikerin Iris Lauterbach über die immergrün, gleichzeitig blühend und fruchtenden Bäume in den Orangerien. Und sie setzt noch eins drauf, wenn sie von den Blüten und leuchtend farbigen Früchten, dem aromatischen Geschmack und dem Duft der ätherischen Öle schwärmt. All das findet sich in ihrem einleitenden Essay zum Nachdruck eines Prachtbandes aus dem 18. Jahrhundert: „Nürnbergische Hesperides, oder gründliche Beschreibung der Edlen Citronat, Citronen, und Pomeranzen-Früchte“ hieß das Werk, das vom Nürnberger Kaufmann und Botaniker Johann Christoph Volkamer veröffentlicht wurde und das nun in einer aufwendig gestalteten Ausgabe des Taschen Verlages vorliegt.
Iris Lauterbach, die an der Technischen Universität München „Geschichte der Gartenkunst“ lehrt, erklärt in ihrer Einleitung – nachdem sie einen mit dem Hauch der paradiesischen Glückseligkeit ins Buch hereingeholt hat – gleich einmal die wichtigsten Ausdrücke und geht dazu bis in die Antike zurück. Herkules bekam von den Hesperiden Zitrusfrüchte überreicht, goldene Äpfel, „poma aurantia“, von denen sich der Name der Pomeranze ableitet. Die Wiege der Zitrus-Kultur aber ist Asien, vor 4.000 Jahren lässt sich die Orange in Südchina nachweisen und gehört damit zu den ältesten Kulturpflanzen. Weitere Stationen der Lauterbachʼschen Erklärungen sind die Fürstenhöfe der Toskana im 16. und 17. Jahrhundert – und schon überquert die Begeisterung für die Zitrusfrüchte auch die Alpen: „Einen starken Feuerfunken“ empfing der Frankfurter Bürgermeister Schwind bei seiner Italien-Reise 1641. Und genau so ging es dem Nürnberger Kaufmann Johann Christoph Volkamer, dem es gelang, in seiner Heimatstadt Zitrusbäume sowohl im Freien, im Erdreich, als auch in Pflanzenkübeln zu kultivieren. Doch das war ihm nicht genug, er veröffentlichte 1708 seine „Nürnbergischen Hesperides“, eine „auf der Basis des damaligen Kenntnisstandes außerordentlich umfangreiche Klassifikation und Beschreibung der Agrumen in Wort und Bild“ – und damit auch „die erste systematische Beschreibung der Gattung Zitrus in deutscher Sprache.“
Iris Lauterbach informiert über die Geschichte der Gelehrtenfamilie Volkamer (der etliche Naturforscher und Ärzte angehörten), sie berichtet über den Nürnberger-Zitrusgarten und über die Vorbilder und die Editionsgeschichte von Johann Christoph Volkamers Buch: Das sehr erfolgreiche Werk wurde 1713 auch ins Lateinische übersetzt, 1714 um einen weiteren Band – „Continuation der Nürnbergischen Hesperidum“ – ergänzt, außerdem konzipierte Volkamer auch noch einen dritten Band. Besondere Aufmerksamkeit widmet Lauterbach der ganz eigenartigen Methode, die Volkamer in seinem Buch anwendet: Ein „Mycroscopium“, ein Vergrößerungsglas würde er benützen, er stellt programmatisch Nah und Fern gegenüber. Die durchgehende Bildstrategie beim Aufbau seiner Tafeln ist „eine bifokale Collagetechnik“: Oben präsentiert er in Originalgröße und Nahsicht eine Frucht und unten in Fernsicht eine Vedute – so, als ob die Früchte Himmelskörper wären, die über der Landschaft schweben. Zeigten die Veduten anfangs nur Nürnberger Ansichten, so steckte Volkamer in den Folgebänden mit Abbildungen von italienischen Städten bis zu Nazareth, Peking und dem Kap der Guten Hoffnung seinen Horizont weiter innerhalb der geistigen und wissenschaftlichen Welt, in der er sich bewegte.
Auch für wen Volkamer sein Werk schrieb, weiß Iris Lauterbach, nämlich „für wohlhabende Gartenbesitzer“ (zwölf Taler verlangte er für die beiden Bände, das sind – wenn die Umrechnungen halbwegs stimmen – rund 600 Euro). Von jeder einzelnen Zitruspflanze beschrieb er exakt Größe, Wachstum, Farbe und Duft des Baumes, der Blätter, der Blüten und der Früchte, sowie den Zeitpunkt der Reife. Interessant ist auch, wie er die diversen Gelbtöne – von „Schwefelgelb bis Citronenfarb“ – verbal festzuhalten versuchte (die kolorierten Zeichnungen sind leider nicht mehr erhalten). Der nun vorliegende Nachdruck basiert auf einem der wenigen erhaltenen Sets von handkolorierten Kupferstichen aus dem Stadtarchiv Fürth und der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg. Die leuchtenden Farben dieser Kupferstiche und Vignetten zeigen, dass aus „Volkamers gelehrtem botanischen Zitrustraktat ein Werk der Repräsentation der Wissenschaft“ wurde.
Nach Lauterbachs Einleitung – wie immer bei Büchern des Taschen Verlages in englischer, deutscher und französischer Fassung – werden im Folgenden alle drei von Volkamer konzipierten Bände Blatt für Blatt gezeigt. Man kann so in der optischen Welt der Zitrusfrüchte aus dem 18. Jahrhundert versinken, man kann aber auch den deutschen Text Volkamers lesen, der für uns Menschen des 21.Jahrhunderts durchaus verständlich ist: „Ja es ist fast nicht wol zu glauben / welch einen starcken und lieblichen Geruch die annoch an denen Bäumen hangende Blühe von sich dufftete.“
Johann Christoph Volkamer: The Book of Citrus Fruits. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. Taschen Verlag, Köln 2020.
26.1.2021