In unseren ungeduldigen Zeiten sind es ja immer die ersten Sätze, die einen fesseln – oder eben nicht. Die Literaturwissenschaftlerin und Journalistin Katrin Schumacher weiß, worauf es da ankommt. „Rotsehen“ heißt das erste Kapitel ihres Buches „Füchse. Ein Porträt“, und gleich in der ersten Zeile zieht sie eine Linie im Schnee, sie lässt es glitzern, um dann gleich auf das „Schnüren“ zu kommen: „Der Fuchs schnürt. Er hat eine eigene Art, sich zu bewegen, die kein anderes Lebewesen mit ihm teilt. Dabei treten die Hinterpfoten über Kreuz in die Abdrücke der Vorderpfoten, links in rechts, rechts in links. Ineinander in einer Geraden, und dieses quere Auftreten geht nicht auf Kosten der eleganten Achse, der Fuchs schwingt leise hin und her“. Dabei spielt der Fuchsschwanz eine wichtige Rolle, da er nämlich nicht Dekoration ist: „Sondern schlicht Evolution. Die Lunte hält ihn auf der Spur.“
Ein Porträt hat sich Katrin Schumacher vorgenommen, auch für diejenigen – und die soll es ja geben –, die ihr ganzes Leben lang keinen Fuchs gesehen haben. Bewundernswert ist Schumachers Stil: Essayistisch und dennoch nie ausufernd hebt sie das Wesentliche knapp hervor, wenn sie zum Beispiel von der „signalroten Scheu“ spricht. Ein späteres Kapitel nennt sie „Rote Lumpen“, da ist schon auch die ironische Distanz zu spüren. Sie weiß, dass unsere „menschliche Unzulänglichkeit“ einem „Tier-Verstehen unüberbrückbar entgegensteht“. Umso intensiver ist ihr Bemühen, das Phänomen Fuchs zu umschreiben: „Sein unheimliches elegantes Tänzeln im Imaginären und seine ikonische Schläue“. Und was sie nicht alles in ihr Porträt mit hineinnimmt, das Fell zum Beispiel, das „Balg“ heißt, mit dem sie weibliche Begehrlichkeiten und männliches Begehren verbindet und auch Einschlägiges von Sigmund Freud dazu weiß. Die Literaturwissenschaftlerin kann natürlich nicht umhin, in diesem Zusammenhang in Leopold von Sacher-Masochs 1870 publizierter Novelle „Venus im Pelz“ auch eine „Fuchsfrau“ zu finden.
Im Kapitel „Rumoren und Amouren“ kommt sie zuerst zu Franz Marc und seinen kubistischen Füchsen, um sich dann ausführlich Japans Fuchsgeistern zu widmen. Im vorhin schon angesprochenen „Rote Lumpen“-Kapitel befasst sich Katrin Schumacher mit dem Fuchs in der Literatur. Denn: „Dem Fuchs als literarischer Institution reicht so schnell kein anderes Tier das Wasser“. Seien es Janosch oder Aesop, Luther oder Lessing, jeder wusste etwas über ihn zu schreiben. Schumacher weiß auch, wo Goethe seinen „Reineke Fuchs“ herhat und erzählt, dass er sich während der Arbeit an diesem Versepos sein Wohnhaus am Weimarer Frauenplan in einen Fuchsbau verwandeln ließ. 1824 veröffentlichte der Leipziger Lyriker und Kinderlieddichter Ernst Anschütz sein Lied vom Fuchs, der die Gans gestohlen hat. Nach ihm und Antoine de Saint-Exupéry, der ja dem Kleinen Prinzen einen Fuchs als Gesprächspartner an die Seite gab, ist Schumacher noch vielen weiteren Fuchs-Spuren in der Literatur gefolgt.
Bevor sie zehn Vertreter aus der zoologischen Gattung der „Vulpini“ in Wort und Bild noch genau porträtiert (darunter neben dem Rotfuchs und dem Polarfuchs auch „Exoten“ wie den Löffelfuchs oder den Obstfuchs), ist ihr auch das Schicksal von „Reynard in der Stadt“ ein Anliegen. Da geht es um die Rasanz, mit der der Fuchs die Urbanität für sich entdeckt. So leben derzeit im Londoner Stadtgebiet schätzungsweise 15 000 Füchse, in München an die viertausend und in Berlin zweieinhalbtausend.
Adele Brand ist eine englische Ökologin und Wildtierforscherin. Sie nähert sich in ihrem Buch dem Phänomen Fuchs auf eine ganz andere Art und Weise. Wobei der Titel des englischen Originals „The Hidden World of the Fox“ in Verbindung mit dem Untertitel der deutschen Ausgabe – „Unsere wilden Nachbarn“ – den Umfang ihres Werks absteckt. Brand war auf vier Kontinenten unterwegs, um Füchse zu studieren, Forschungsprojekte zu leiten, verwaiste Fuchswelpen aufzuziehen und verletzte Füchse zu pflegen. Vor allem will sie eine Frage ergründen: „Wie hat es der Rotfuchs, ein Wildtier, das sich vorzeiten in unberührten Wäldern entwickelt hat, geschafft, sich derart erfolgreich an die moderne Welt anzupassen?“ Somit ergibt sich als Schwerpunkt ihres Schreibens sowohl das Miteinander als auch das Gegeneinander von Fuchs und Mensch. Sie geht dabei so weit, die „Fuchssprache“ in die Menschensprache zu übersetzen und erzählt ausführlich von ihren Erlebnissen mit den Tieren.
Brand beobachtet und kommt von ihren Beobachtungen zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, vom Visuellen wechselt sie zum Hören und dann auch noch zum Riechen, zu den Geruchsmarken, die im Buch ja noch erträglich sind. Sie weiß, wie man Füchse beobachtet und fotografiert, kennt Krankheiten und Todesarten – letztere zumeist vom Menschen verursacht. Ihre berühmten Füchse sind Helden in Zeichentrickfilmen oder Social-Media-Stars. Ihr Buch hat Adele Brand mit Schwarz-Weiß-Fotografien illustriert, die sie selbst aufgenommen hat.
Zum Abschluss: böse, ironische Literatur. George Saunders, der für seinen Roman „Lincoln in Bardo“ 2017 mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde, verfasste ein kleines, schmales Büchlein mit dem Titel „Fuchs 8“. Und überrascht vorerst einmal. Da spricht ein Fuchs zu den Leserinnen und Lesern, und zwar in der Menschensprache, die er natürlich nicht perfekt beherrscht, denn er lernte sie an vielen, vielen Abenden, die er im Garten saß und den Stimmen aus dem Fernsehapparat lauschte: „Ich war fast ziniert von disen Musikwörtern und wollte si tot tal versteen.“
Saunders geht seine Geschichte von Fuchs 8 so an, als hätte er vor, ein Kinderbuch zu schreiben. Das Leben im Rudel, die Ausflüge in die Stadt, sogar in eine Shopping-Mall – darüber liest es sich eher vergnüglich. Bis dann aus dem Witz Ernst wird, bis der Zusammenstoß von Fuchs und Mensch, der ja bei Schumacher und Brand schon recht dramatisch dargestellt wird, tragische Ausmaße annimmt. Spätestens da merkt man, dass man es mit keinem Kinderbuch zu tun hat, die doppelte ironische Brechung lässt einen das ertragen: „Wenn das hir ein Buch wäre, würde es nur Mut brauchen, und schon hätt ich es geschafft. Aber denkse. Es war das echte Leem.“ Zu bewundern ist die Leistung des Übersetzers Frank Heibert, der es geschafft hat, die menschliche Fuchs-Sprache aus dem amerikanischen Englisch ins Deutsche herüber zu holen. Ein Funken Hoffnung bleibt am Ende: „Wenn ir wollt, das oire Geschichten ein Heppi Ent haben, seit einfach mal ein bisschen netter.“
Katrin Schumacher: Füchse. Ein Porträt. Herausgegeben von Judith Schalansky in der Naturkunden-Reihe des Verlags Matthes & Seitz, Berlin 2020.
Adele Brand: Füchse. Unsere wilden Nachbarn. Aus dem Englischen von Beate Schäfer. Verlag C.H. Beck, München 2020. Auch als E-Book erhältlich.
George Saunders: Fuchs 8. Aus dem amerikanischen Englisch von Frank Heibert. Luchterhand Verlag, München 2019. Auch als E-Book erhältlich.
17.5.2020