Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde der alpine Wintersport als Freizeitvergnügen entdeckt: 1890 gründeten ein paar Sportbegeisterte in München den ersten Skiclub Mitteleuropas, 1891 folgte der „Erste Wiener Ski-Club“, 1893 dann der erste Schweizer Schiverein. Durch die modernen Transportmittel – vor allem die Bahn – waren die Gebirgsregionen zu leicht erreichbaren Tourismusgebieten geworden. Bald tummelten sich auf den Berghängen zahlreiche Schiläufer*innen, während die Mutigeren bei den ersten Schisprungbewerben ihr Können unter Beweis stellten.
Zu den ältesten Wintersportgebieten gehört die Region um den Semmering an der Grenze zwischen Niederösterreich und der Steiermark. 1893 fand dort, im steirischen Mürzzuschlag, das erste internationale Schirennen im Alpenraum statt. Zahlreiche weitere Konkurrenzen folgten, und 1905 war der Semmering Austragungsort eines der frühesten Skeleton-Rennen. Derartige Attraktionen und vor allem auch die luxuriösen Hotels der Region zogen eine Vielzahl von Gästen an – so auch den Wiener Schriftsteller Peter Altenberg, der 1909 eine seiner kurzen Prosaskizzen dem Thema „Wintersport“ widmete:
„Eine der größten Entwicklungen im physiologischen Leben der Menschheit ist die Entdeckung der Schönheit der Winterlandschaft! Der Schwede Fjaestad begann den Schnee zu malen wie keiner vor ihm. Denn er liebte ihn; nur liebevolle Augen können im Schnee so viel verborgene Schönheit, Poesie, Melancholie ausfindig machen, gleichsam wie in dem vergötterten Antlitz einer geliebten Frau! Die Poesie der Winterlandschaft, die früher einigen wenigen Träumern und Dichtern aufgegangen war, ist nun auf dem Umwege „sportlicher Vergnügungen“ in die Gesamtheit eingedrungen und erfüllt die nervös gewordene Menschheit mit unermesslichen neuen Lebensenergien!
Der Wintersport hat seine Übertreibungen, wie alle guten vorteilhaften Dinge auf Erden; aber er ist der einzige Vermittler zwischen dem in Arbeit und Sorge dahinvegetierenden Menschenkinde, und Gottes friedevoller Winterpracht! Man sieht am Semmering nun Recken und Hünengestalten wie aus deutschen Sagenbüchern erstanden! Es werden Gefahren aufgesucht im tief verschneiten und vereisten Bergwald!
Frauen schweben dahin wie fliegende Engel, Kraft und Lebendigkeiten einheimsend aus der Winterluft für kommende Generationen! Mensch sein heißt „Stoff wechseln“ im energischesten Grade. Und dazu verhilft allein der Wintersport in eisiger Luft! Er ist das Regenerationsmittel der Zukunft! Dichter, Denker und Träumer leben von „innerem Stoffwechsel“; aber der Mensch des realen, lebendigen, unerbittlichen Lebens muss es sich durch „frische Tat“ erzeugen.
Der Wintersport gibt Millionen Kräfte denen, die noch zu nehmen, noch zu geben haben, in ihren gutorganisierten Lebensmaschinen. Die anderen mögen abseits wandeln und mit den Augen allein die Kräfte der heiligen Winterlandschaft in sich hineintrinken! Alle Versuche moderner Physiologen, die Menschheit zu regenerieren, sind kindische Unternehmungen gegenüber dem Walten eines Wintertages mit seiner eisigen, sonnigen, urreinen Luft! Amen.“
Peter Altenberg: Wintersport (aus: Bilderbögen des kleinen Lebens, Berlin 1909).