Der Niederländer Adwin de Kluyver, geboren 1968, promovierte als Historiker über die Kulturgeschichte der Polreisen und des Heldentums. Das hat er nun auch zum Thema seines Buches „Niemandsland. Eine antarktische Entdeckungsreise“ gemacht. Es ist ein Werk, in dem die Geschichte von Antarktika anhand historischer Schlüsselfiguren skizziert wird. De Kluyver gelingt es, in seinen Porträts, die er stets zwischen Intimität und Distanz ansiedelt, Altbekanntes so zu erzählen, als wäre es neu – und dem dann noch Neues spannend und oft auch recht drastisch hinzuzufügen.
Mit einer Sturmwarnung zieht Adwin de Kluyver seine Leserschaft ins Buch hinein. Als Besatzungsmitglied eines historischen Dreimasters, der „Bark Europa“, segelt er durch die Küstengewässer der Antarktis: „Es ist Furcht einflößend und aufregend zugleich“. Seine dreiwöchige Reise ist einer der beiden roten Fäden, die sich durch das Buch ziehen. Der andere ist die Geschichte von Nobu Shirase (1861–1946), der 1910-1912 die erste japanische Antarktis-Expedition leitete. Zwar erreichte er nicht, wie geplant, den Südpol, aber Nobu Shirase und seine Mannschaft waren die ersten, die die arktische Edward-VII-Halbinsel betraten. In seiner Heimat, wo das Wort „Nankyoku“ sowohl Südpol als auch Antarktis bedeutet, wurde Nobu Shirase als Held gefeiert. Später wurden in der Antarktis der „Shirase-Gletscher“ und die „Shirase-Küste“ nach ihm benannt.
Diese zwei Handlungsstränge führen also als die roten Fäden – wenn auch blau gedruckt – durch das Buch. Dazwischen erzählt Adwin de Kluyver noch viele andere Geschichten – schwarz gedruckt –, die alle mit der Antarktis und dem Südpol zu tun haben. So etwa beginnt er mit den Maoris, deren Seefahrer vermutlich schon im 7. Jahrhundert arktische Gewässer erreichten. Den Schlusspunkt bildet eine NASA-Expedition, bei der „aus einer Höhe von 33.000 Kilometern und mit einer Geschwindigkeit von 14.000 Stundenkilometern vier Fotos entstanden, die ersten Bilder, auf denen Antarktika, der letzte Kontinent, in seiner Gänze zu sehen war.“
Aber nicht nur von Menschen ist die Rede, sondern auch von Tieren: von den Schlittenhunden des Roald Amundsen, den Pinguinen und ihrem eigenartigen Sexualleben, das der britische Antarktisforscher George Murray Levick (1876–1956) in griechischer Schrift festhielt, weil alles was mit Sexualität zu tun hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in England tabu war. Ein besonders spannender Beitrag ist dem Walfang gewidmet, und da kommt auch ein Niederländer zum Zug: der Illustrator, Zeichner und Aquarellist Willem van der Does (1889–1966) verdingte sich als Bootsmann auf dem Fabriksschiff „Sir James Clark Ross“, das sich 1923 nach Süden aufmachte, um seine Laderäume mit Waltran zu füllen. Van der Does war der erste Niederländer, der einen Fuß auf Antarktika setzte.
Natürlich behandelt de Kluyver auch die Politik und den Tourismus: „Jährlich reisen etwa 55.000 Menschen zumeist per Schiff in die Region, und der Zustrom erhöht sich von Jahr zu Jahr beträchtlich, vor allem jetzt, da es auch Flüge nach King George Island gibt.“ Zwischen all die Erzählungen setzt der Autor wissenschaftliche Daten über Größe, Temperatur und Beschaffenheit der Antarktis. Und im allerletzten Kapitel kann man sich dann in mehreren Auswahlverfahren testen, ob man selbst in der Lage wäre, an einer Antarktis-Expedition teilzunehmen.
Adwin de Kluyver ist es auf jeden Fall gelungen, in dem Buch einiges davon zu vermitteln, was stets die Anziehungskraft von Expeditionsgeschichten ausmacht.
Adwin de Kluyver: Niemandsland. Eine antarktische Entdeckungsreise. Aus dem Niederländischen von Bärbel Jänicke. Mareverlag, Hamburg, 2024.
24.11.2024