Oskar Aichinger ist Musiker mit einer gewissen Affinität zur Literatur. Und so hat er sich eines Tages hingesetzt und begonnen davon zu schreiben, wie er Wien auf abertausenden Wegen durchstreift, von einer „Art Ausflug, ohne die Stadt verlassen zu müssen, einer Fahrt ins Blaue für ein paar Stunden mitten in der Stadt“. Entstanden ist daraus der Band „Ich bleib in der Stadt und verreise. Vom Gehen und Verweilen in Wien“, vor kurzem erschienen im Picus Verlag.
Ursprünglich ist der Weg das Ziel. Er geht da oft los und weiß noch nicht, wo es ihn hintreibt, kommt in Gegenden, wo er schon lange nicht war – und dann ergibt sich auf einmal ein Ziel, von dem er denkt: „Dort könnte ich jetzt ein Bier trinken.“ Lieblingsgegenden hat Aichinger eigentlich keine, er ist offen für alle Eindrücke. Es wechselt auch mit der Stimmung, wonach ihm gerade ist, ob es melancholisch, imperial, naturnah, trüb, hell, volkstümlich oder elegant sein soll. Er sagt von sich, dass er ein Herbst- und Wintermensch sei. Und schreibt, dass Wien eine Herbststadt sei.
Weil Oskar Aichinger ja Musiker ist, spricht er vom Andante, von der sanften Entrücktheit beim Gehen, die ihn auch offen für musikalische Einfälle macht. „Der Pilgerweg“ nennt er sein erstes Kapitel, das im Weinhaus Sittl an der Ecke von Gürtel und Neulerchenfelderstraße beginnt und endet. „Es gibt kaum einen Ort, der die Bezeichnung Oase eher verdient als dieser hier, inmitten einer lärmenden Stein- und Asphaltwüste“.
In fünfzehn Kapiteln beschreibt also nun der wandernde Autor seine Wege durch Wien: Sie können imperial sein und in die Josefstadt führen, oder zum Brunnenmarkt, dann wieder – in einem Kapitel, das er „Schweizerhaus“ betitelt – zum Belvedere und in den Prater. Aichinger verrät ja nie ganz genau, von wo er weggeht, und seine Wegbeschreibungen sind nie ganz präzise, er zeichnet sein Gehen nicht genau verbal nach. Sein Ansatz beim Schreiben des Buches war – so verrät er beim Gespräch im Weinhaus Sittl: „Wenn jemand das nachgehen möchte, soll er auch ein Abenteuer dabei haben.“ Irgendwo in Margareten beginnt es immer. Manchmal bleibt er in der Gegend, bei den „Nahversorgern“, wechselt vom Margaretenplatz zum Rüdigerhof, oder pendelt zwischen dem vierten und fünften Bezirk hin und her, geht über den Naschmarkt in die Stadt, über „Die magische Achse“ vom Karlsplatz zur Jesuitenkirche, kommt auch an die Alte Donau. Zwischen – und manchmal auch in die Kapitel hinein – setzt er Liedtexte. Bei der Alten Donau geht‘s um die Wolken.
Über den Schwedenplatz kommt Aichinger auf die Mazzesinsel, geht dann weiter ins Grüne, in den Augarten. Im Zuge seines nächsten Ausflugs, muss er dann doch gestehen, einen Lieblingsplatz zu haben, nämlich den Volksgarten: „Sonnenbeschienen, heiter, beschwingt, städtisch, ich freue mich drauf.“ Bis ins Franz Schubertsche Lichtental führt ihn dieser Weg. Ganz anderswo, nämlich „Weit draußen“ ist der fünfzehnte Bezirk. Da schwärmt Aichingerer vom Gasthaus Quell neben der Kirche in der Reindorfgasse. So assoziiert und räsoniert Aichinger gehend, schaut auf Häuser, erinnert sich an Selbsterlebtes, gibt seinen inneren Befindlichkeiten nach, macht auf Historisches aufmerksam, beschreibt ganz genau die Vorzüge der Wirtshäuser, Gaststätten, Schutzhütten und sonstiger Zufluchtsorte. Er beendet seine Reise mit einer Betrachtung übers Ausgehen und wieder Einkehren. Er mag das nämlich, irgendwo zu sein, wo er „das Gesehene und Erlebte Revue passieren lassen und bedenken kann.“ Der schönste Satz, der vom entschleunigten Gehen und Verweilen steht am Ende des Buches: „Das Gehen braucht seine Zeit, die Zeit danach die ihre.“
Oskar Aichinger: Ich bleib in der Stadt und verreise. Vom Gehen und Verweilen in Wien. Picus Verlag, Wien 2017. Auch als E-Book erhältlich.
22.9.2017. Fotos: K. Holzer