Olga Wisinger-Florian (1844–1926) gehörte zu den bedeutendsten bildenden Künstlerinnen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Im Zuge der intensivierten Bemühungen um eine gendergerechte Kunstgeschichtsschreibung fand ihr Werk in den vergangenen Jahren wieder verstärkte Beachtung. So widmete das „Leopold Museum“ in Wien der Künstlerin im Jahr 2019 unter dem Titel „Flowerpower der Moderne“ eine eigene Ausstellung, und im selben Jahr war sie in der großen Schau „Stadt der Frauen“ im „Belvedere“ ebenfalls prominent vertreten. Was sie selbst über den Status von Frauen in der bildenden Kunst dachte, darüber gibt ein Artikel Aufschluss, der am 15. Januar 1903 im „Neuen Wiener Journal“ erschien. Es war der Beginn einer Artikelserie zum Thema „Der Beruf der Frau“. Der erste Beruf, um den es ging, war „Die Malerin“ – und unter dem Titel „Ein Besuch bei Frau Wisinger-Florian“ stand dabei Olga Wisinger-Florian als eine der angesehensten Repräsentantinnen ihres Faches im Mittelpunkt.
„Ein hohes Atelier mit prächtigem Winterlicht ohne Schneereflexe. Blumen überall. Lebend auf den Tischen und in Vasen und nachgeahmt in leuchtenden Farben an den Wänden, auf den Bildern. So gewinnt man den Eindruck, den Winter verscheuchen zu können, wenn man bei der exzellenten Frühlingsmalerin weilt. Frau Wisinger-Florian ist eine liebenswürdige, geistvolle Dame; wenn sie spricht, gewinnt sie ungemein. So musste sie Tilgner erfasst haben, dessen Büste der Hausfrau in einem Winkel lebensvoll hervorguckt. Sonst füllen noch Bilder von Schindler, dem Lehrer der Künstlerin, den Raum und andere gute Meister.
Sie richtet eben einige Bilder für die Ausstellung her. Hortensien von üppiger Farbe, einen Gewittersturm, ‚Hühner im Hof‘ und stimmungsvolle Gärten mit Pflanzen aller Art. Arbeitsfreudigkeit wohnt ihr inne, sie ist glücklich, nach überstandener schwerer Krankheit wieder arbeiten zu können, doch will sie sich noch Erholung gönnen – einige Wochen Abbazia. Sie reist viel und besucht überall Kunstausstellungen. ‚Man lernt doch immer‘, meint sie. Die österreichischen Verhältnisse beglücken sie nicht; man hemmt den Erwerb, man lässt niemanden vor.
Wie man Malerin wird, und welches die Schwierigkeiten sind, die sich den Frauen entgegenstellen, das erzählt Frau Wisinger-Florian selbst.
‚Es ist nicht leicht in Österreich, Künstlerin zu werden, das muss ich vorausschicken. Und ich wollte an der Sache überhaupt verzweifeln, denn ich kam mir eine Zeitlang talentlos vor. Es war ziemlich spät, ehe ich wieder ernsthaft ans Malen ging. Als Kind von fünf Jahren versuchte ich es mit dem Nachzeichnen, studierte bald und hatte das Unglück, einen schlechten Lehrer zu bekommen. (…) Ich wandte mich dem Klavier zu, gab Konzerte und verließ dann auch diese Kunst – ein Fingerkrampf hinderte mich an den weiteren Ausführungen. Erst die Notwendigkeit lehrte mich meiner alten Kunst gedenken, knapp nach meiner Heirat wurde ich »Möbelmalerin«, das heißt, ich lieferte an Trödler die bekannten Fünf-Gulden-Bilder, die dann unter dem Namen »Bild mit schönem Rahmen« verkauft werden.
Ich war dreißig Jahre alt, als ich mit dem Malen wieder anfing. Und nun war Emil Schindler mein Lehrer, da konnte ich mich leicht finden. Die Zeit der Achtzigerjahre war für die Frau jedenfalls eine bessere, im Künstlerhaus wurde nicht gefragt, ob es Mann oder Frau ist, die ausstellt.
Heute aber ist die Strömung gegen die Frauen stärker als je, es ist der Anfängerin unmöglich, emporzukommen, dem anerkannten Talent schwer, sich zu behaupten. Man treibt die Gehässigkeit so weit, dass man im Künstlerhaus Arbeiten refüsiert, weil sie von Frauen sind, und wenn sie von anerkannten Malerinnen herstammen. Es wird nicht unbescheiden sein, wenn ich Marie Egner und mich zu den letzteren zähle und doch widerfuhr uns dieses Schicksal. Zurückgewiesen, weil wir Frauen sind! Erst im allerletzten Jahr hat man wieder einer größeren Anzahl von Anfängerinnen das Künstlerhaus geöffnet. Aber das Motiv liegt klar zutage: die schaden den Männern nicht. Sagen wir es nur präzise. Es ist der Brotneid, der den Künstlern dieses Vorgehen diktiert. – Und doch ist die Frau dem Mann in der Kunst gleichgestellt, sie hat mehr Fleiß und ist sogar rüstiger im Ertragen der Strapazen. (…)
An emporwachsenden Talenten ist leider keine zu große Auswahl, sie sind rar und doch drängen sich viele Frauen zu der Malerei, es ist ein stetiges Anwachsen zu bemerken. Die Hilfsmittel sind heute viel besser, es gilt als selbstverständlich, dass man Akt zeichnet und nur in prüden Bürgerskreisen scheut man noch davor zurück.
Was die Verhältnisse der Künstlerinnen im Ausland betrifft, muss anerkannt werden, dass es überall besser ist, als bei uns. Meine Bilder werden beispielsweise draußen mehr geschätzt wie hier.
In München hat es die malende Frau leichter, in Amerika und in Paris gar, wo ja in der großen Jury des ‚Salon‘ auch eine Frau sitzt. In Chicago fand ich den ‚Pavillon der Frau‘ durchwegs von Künstlerinnen erbaut, beschickt und verwaltet; überall ist die Frau gleichgestellt, wenn sie begabt ist, nur bei uns ist es ein Kampf, ein Kampf gegen die Frau, weil auch ihre Kunst nach Brot geht…“
Ausschnitt aus: Der Beruf der Frau. 1. Die Malerin. Ein Besuch bei Frau Wisinger-Florian. In: Neues Wiener Journal, 15.1.1903, S. 2f. Die Orthografie wurde dem aktuellen Standard angepasst.