EISLAUF: „DIESE GENUSSVOLLE, STÄRKENDE UND EDLE KUNST“

Georg Emanuel Opiz: Der Eislaufplatz beim Stubentor (1805)
Georg Emanuel Opiz: Der Eislaufplatz beim Stubentor (1805)

„Eine Unzahl von Schlittschuhläufern, jung und alt, gering und vornehm, halbnackt und stutzerisch; Damen auf eigenen Schlitten, alles bunt und quer durcheinander, des Sonntags gleich nach Tische. Ringsum auf dem Eise selbst, an des Hafens Rändern, oben auf der Brücke: alles voll Zuschauer, denn es war ein amüsantes Schauspiel; man sah charmante Leute; es gab allerhand abenteuerliche Auftritte; es gab allerhand zu lachen.“ So beschrieb der Wiener Schriftsteller Franz Gräffer jenes bunte Treiben, das der Maler Georg Emanuel Opiz, in sehr ähnlicher Weise auf dem 1805 entstandenen Bild „Der Eislaufplatz beim Stubentor“ dargestellt hatte. Schauplatz war der heute nicht mehr vorhandene Endhafen des „Wiener Neustädter Kanals“ (eines 1803 in Betrieb genommenen künstlichen Wasserwegs, der bis in die 1870er Jahre vor allem für Frachttransporte genutzt wurde).

Franz Gräffer war nicht nur ein sehr produktiver Schriftsteller, sondern auch ein begeisterter Schlittschuhläufer. Der Eislaufplatz beim Stubentor sei „eigentlich noch nicht das Rechte“ gewesen, erinnerte er sich in seinem Text (1), das Ganze sei zu ungeordnet, ohne entsprechende Organisation, gewesen, und daher hatte Gräffer beschlossen, einen Eislaufverein zu gründen:

„In der Mitte des Hafens ein großes Zelt mit Restauration und Musik, denn mit Restauration und Musik muss alles anfangen und aufhören; Musik eigens für den Eislauf komponiert, den langen Schönheitslinien angemessen, zu beseelen des Stahles Schwung; Schlittschuhe und Schlitten im Vorrat zum Ausleihen; Leute da zum Unterricht: Schlittschuhprofessoren; der ganze Raum mit Netzen umzogen, denn: Abonnement für einen Monat oder den ganzen Winter oder auch einzelner Eintritt; beim Kassier eine gedruckte Anleitung zur Kunst Tialfs (2), ein förmlich Büchlein; und überhaupt, der Eislauf sollte zu dem Rang einer schönen Kunst erhoben werden, wie der Tanz.“

Im Oktober 1810 suchte Franz Gräffer bei der k.k. Polizeidirektion Wien um die Bewilligung einer „Schlittschuhlaufanstalt“ an – und erhielt einen abschlägigen Bescheid, weil, wie ihm mitgeteilt wurde, „diese Anstalt hier in keinem so rauen Klima wie in Holland und bei Mangel an Kanälen weder in politischer noch in militärischer Beziehung den bezeichneten Nutzen schaffen kann, (…) weil das Unternehmen nur eine Geldprellerei zum Grunde hat, da Gräffer Subskribenten zu 30 und 25 fl. [Gulden] schon im Herbste werben will, ungeachtet es hier manchen Winter kein haltbares Eis gibt, weil endlich die Polizei sich nur unnötiger Weise neue lästige Aufsicht und Gehässigkeit zuziehen würde.“(3)

Gräffer selbst führte die Ablehnung darauf zurück, dass er zu wenig auf die Risken des Eislaufs und auf seine geplanten Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen habe: „Er [Gräffer meinte sich selbst] hatte erwähnt, es werden auch Chirurgen zugegen sein, falls eines Falles, eines Malheurs; anstatt dass er gleich anfangs, als Motiv der Unternehmung gesagt hätte: Es ereignen sich stets viel Unglücksfälle bei dem Eislauf; er wolle daher eine ordentliche Anstalt usw. Kurz, die Sache musste unterbleiben. Und das war recht gut. Denn erstens, wie gesagt, die rechten Winter wurden immer matter und matter, blieben allmählich aus, und dann, das Publikum wurde von Jahr zu Jahr weichlicher, das Herrenpublikum schon gar. Dieses sitzt lieber in einem qualmigen Salon oder Bierhaus ganz ruhig, statt etwas Chirurgisches zu riskieren.

Illustration aus Franz Gräffers: Das Schlittschuhfahren
Illustration aus Franz Gräffers Buch „Das Schlittschuhfahren“

Sein Engagement für den Eislaufsport lebte Franz Gräffer in der Folge schriftstellerisch aus. 1827 veröffentlichte er (unter dem Pseudonym F. E. Fergar) das Buch „Das Schlittschuhfahren. Eine practische Anleitung zum schnellen und richtigen Selbsterlernen dieser genußvollen, stärkenden und edlen Kunst“.

(1) Franz Gräffers Text über den Eislaufplatz beim Stubentor ist 1845 unter dem Titel „Reunion auf dem Eise“ in der Sammlung „Kleine Wiener Memoiren“ erschienen. Die Quelle für diesen Beitrag ist: Franz Gräffer, Kleine Wiener Memoiren und Wiener Dosenstücke. Hg. von Anton Schlossar u. Gustav Gugitz. München 1918. Bd. 1, S. 98ff. Die Orthografie wurde im Wesentlichen dem heutigen Standard angepasst.
(2) Verweis auf Friedrich Gottlieb Klopstocks Ode „Die Kunst Tialfs“. Tialf bzw. Thialfi ist in der nordischen Mythologie ein Diener des Gottes Thor und zeichnet sich durch besondere Schnelligkeit – auch auf Eis – aus.
(3) Zitiert in: Franz Gräffer, Kleine Wiener Memoiren und Wiener Dosenstücke. Bd. 1, S. X.

Aktualisierte Fassung (Erstveröffentlichung 13.1.2021)

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