BAHNHÖFE

Vor rund zweihundert Jahren – um exakt zu sein: am 27. September 1825 – wurde im Nordosten Englands die weltweit erste öffentliche Bahnlinie in Betrieb genommen, die von Stockton nach Darlington führte. Das neue Verkehrsmittel machte rasch Furore, und bald gab es zahlreiche Bahnlinien – und auch eine neue Art von Gebäuden. Denn um den auf die ein- oder abfahrenden Züge wartenden Personen einen Aufenthaltsbereich zu bieten und sie vor allen Unbilden des Wetters zu schützen baute man Bahnhöfe. Waren diese zu Beginn meist noch eher bescheiden gestaltet, so entwickelten sie sich im Lauf der Zeit zu Bauwerken, für die man in der Architekturgeschichte so dramatische Bezeichnungen wie „Kathedralen des 19. Jahrhunderts“, „Basiliken der Technik“ oder „Erlebniswelten der Moderne“ fand.

Paris Gare du Nord (Foto: Wikimedia Commons / Cheng-en Cheng)
Paris Gare du Nord (Foto: Wikimedia Commons / Cheng-en Cheng)

Viele Details dazu liefert der Architekt und Architekturwissenschaftler Adolph Stiller im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Buch „Bahnhöfe. Stationen in Europa“. Er betitelt dieses Vorwort: „Stationen überdachen, Distanzen überwinden, Risiken mindern: Erfolgsgeschichten, die bis heute unser Leben erleichtern.“ Stiller gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklung des europäischen Bahnwesens, erzählt, wie aus Klein- und Mittelstadtbahnhöfen wesentliche Elemente des Stadtbildes wurden, wie Bahnhofstraßen mit Baumalleen angelegt wurden. Das Hauptaugenmerk legt Stiller auf die technisch und vor allem räumlich innovativen Hallen, die die Bahnsteige überdeckten: große, glasgedeckte Säle in bis dahin kaum vorstellbaren Ausmaßen, zuerst in Holz gefertigt, dann meist in leichter Eisenkonstruktion (nach dem Vorbild des für die Londoner Weltausstellung von 1851 errichteten „Kristallpalasts“). Stiller beschäftigt sich aber auch mit dem Bahnbau im 20. und 21. Jahrhundert, so etwa mit dem Neubau des Stuttgarter Bahnhofs, von dem er meint, dass die fertige Anlage hinsichtlich Funktionalität, Architektur und Ingenieurleistung internationale Maßstäbe setzen wird.

Leipzig, Hauptbahnhof, Postkarte, um 1914 (Wikimedia Commons)
Leipzig, Hauptbahnhof, Postkarte, um 1914 (Wikimedia Commons)

Der Architekturtheoretiker Jan Sapák leitet seinen Buchbeitrag – Titel „Architektur und Urbanismus der Eisenbahn in den Ländern der Donaumonarchie“ – mit einem Verweis auf den österreichischen Architekten Friedrich Achleitner (1930-2019) ein. Dieser meinte, dass in einer Reihe von Ländern der k.u.k. Monarchie über Jahrzehnte hinweg die Architektur von Schulen, Krankenhäusern und eben auch Bahnhöfen den Stadtraum geprägt habe. Anschaulich und bildhaft schildert Sapák die k.u.k Bahngeschichte, wenn er zum Beispiel schreibt, dass die Bahnschienen anfangs „so rutschig wie abgefahrene Sommerreifen waren.“ Er konzentriert sich dann auf einen der ältesten Bahnhöfe der Welt, der noch voll in Betrieb ist, nämlich der Brünner Hauptbahnhof. Zu diesem hat Sapák eine besondere Beziehung, ist er doch in Brünn geboren.

„Ankunft der Dampfwagenzüge auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Bahnhof zu Brünn bey der Eröffnungsfahrt am 7. July 1839“ (Wikimedia Commons)
„Ankunft der Dampfwagenzüge auf der Kaiser Ferdinands-Nordbahn im Bahnhof zu Brünn bey der Eröffnungsfahrt am 7. July 1839“ (Wikimedia Commons)

Gemeinsam mit der georgischen Künstlerin und Kuratorin Irina Kurtishvili hat Jan Sapák für das Buch eine Übersicht über 34 europäische Bahnhöfe erstellt – mit allen einschlägigen Daten, einer kurzen Beschreibung der Lage und der speziellen architektonischen Merkmale. Als Orientierungshilfe sind die vier Hauptwindrichtungen, für die jeweils ein prägnantes Bauwerk steht, gedacht, eine andere Ordnung bietet die chronologische Abfolge der Entstehungsjahre bis in die neueste Zeit. Als Highlights sind darunter zu finden: der Bahnhof St. Pancras in London, dessen aus einem einzigen, rund 74 Meter breiten Bogen bestehende Halle bei der Eröffnung 1868 das weltweit größte derartige Gebäude war.

Die Bahnhofshalle von St. Pancras in London (Illustrirte Zeitung, Leipzig, 3.10.1868)
Die Bahnhofshalle von St. Pancras in London (Illustrirte Zeitung, Leipzig, 3.10.1868)

Dem Londoner Vorbild folgte man bei der Gestaltung des Kölner Hauptbahnhof, dessen 1894 fertiggestellte Mittelhalle eine für die damalige Zeit spektakuläre Bogenspannweite von 64 Metern bei einer Länge von 255 Metern hatte. Unter den Highlights findet sich natürlich auch der 1934 eröffnete Neubau des Hauptbahnhofs von Florenz – „Firenze Santa Maria Novella“ –, der als eines der markantesten Bauwerke der italienischen Moderne gilt, und der zum Museum mit großer Anziehungskraft mutierte Gare d’Orsay in Paris.

12.10.2024

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