AN DER AMALFIKÜSTE

Neapel ist ein Höhepunkt landschaftlicher Schönheit, und mit dieser Stadt im Zusammenhang wird oft auch die östlich anschließende Küste, die „Costiera Amalfitana“ genannt. Seit 1997 Weltkulturerbe hat sie diesen Namen von der Stadt Amalfi. Die Italiener aber, ohnehin mit Superlativen schnell bei der Hand, nennen sie „La Divina Costiera“, die göttliche Küste. Noch eins drauf legte der Schriftsteller Renato Fucini (1843-1921), dessen Ausspruch „Il giorno del giudizio. Per gli Amalfitani che andranno in paradiso, sara un giorno come tutti gli altri“ – „Der Tag des Jüngsten Gerichts wird für diejenigen Amalfitaner, die ins Paradies kommen, ein Tag wie alle anderen sein“ – an einem Torbogen der Stadt prangt.

Eine kühn angelegte Straße, die nur an wenigen Stellen hinunter ans Meer führt, bringt einen zur schönsten Steilküste Süditaliens, an der die Ortschaften eher vertikal die Berge emporklettern als sich horizontal in die Täler hinein zu erstrecken. „Großartig wechselt der Rahmen; hoch zwischen Himmel und Meer“, schrieb der Lyriker Richard Dehmel Ende des 19. Jahrhunderts in seiner „Rundreise in Ansichtspostkarten“ über die „Bergstraße von Amalfi nach Salerno“. Ratsam ist, nicht das eigene Fahrzeug zu benutzen, sondern entspannt den Bus zu nehmen, sowohl die Amalfitana entlang, als auch in die Orte hinein und hinauf.

Der Tourismus überkam die gesamte Küste ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und dann vor allem im 20. Das erinnert an jene Feststellung des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers John Steinbeck (1902–1968), der 1953 über das ebenfalls an der Amalfitana gelegene Positano schrieb: „Nearly always when you find a place as beautiful as Positano, your impulse is to conceal it“ – „Wenn man so einen herrlichen Ort wie Positano findet, ist der erste Impuls, ihn verstecken zu wollen“. Dies gilt wohl für nicht nur für Positano, sondern für fast alle Orte an der Amalfiküste. Steinbecks Begeisterung, die er über das vielgelesene Modemagazin „Harper’s Bazaar“ mitteilte, führte allerdings dazu, dass die Region noch stärker in den Mittelpunkt touristischen Interesses geriet.

Amalfi ist also der Hauptort an der Küste. Gegründet im 4. Jahrhundert war es im frühen Mittelalter eine mächtige Seerepublik und reiche Handelsstadt, die an der Schnittstelle zwischen byzantinischer, muslimischer und lateinischer Welt lag. Das Zentrum der Stadt ist der Platz vor dem Dom, eine mächtige Freitreppe führt hinauf zur „Cattedrale di Santʼ Andrea“. Gewidmet ist der ab dem 10. Jahrhundert in mehreren Etappen errichtete und später im Inneren barockisierte Dom also dem Apostel Andreas, die Reliquien des Heiligen befinden sich seit 1208 in der Krypta. Ein Ort, an dem man hier Ruhe vom touristischen Trubel findet, ist der „Chiostro del Paradiso“, der Kreuzgang mit spanisch-arabischen Säulen und wunderschönen Fresken.

Einer der elegantesten Plätze an der Amalfitana ist der kleine, rund 300 Meter über dem Meer gelegene Ort Ravello. Die Briten und Amerikaner, die diesen Ort im 19. Jahrhundert für sich entdeckten, liebten es elitär. Aber sie taten auch einiges für die Gegend. 1851 erwarb der schottische Industrielle und Botaniker Francis Neville Reid die damals völlig verfallene Villa Rufolo. Er ließ das einst herrschaftliche Gebäude, dessen Geschichte bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, renovieren und machte aus den Gartenanlagen ein botanisches Paradies. Als Richard Wagner 1880 hierher kam, fand er da die Inspiration für „Klingsors Zaubergarten“, den Schauplatz des 2. Aufzugs seiner Oper „Parsifal“. Seit 1953, dem 70. Todestag Wagners, findet in den Gärten der Villa Ravello alljährlich ein Musikfestival statt.

Doch die Amalfitana ist auch jenseits der Villen und der Touristenhotspots sehenswert. Die Landschaft und auch der Blick aufs Meer bezaubern von vielen Plätzen. Man kann die Gelegenheit nützen und mit einem Bus hinauf in die Berge fahren. Der Bus bleibt dann zumeist am Hauptplatz irgendeines kleinen Ortes stehen, man geht durch enge Gassen weiter, bis zum Ende am Kirchplatz. Oder, man setzt sich unten an der Küste an den Strand, trinkt einen Kaffee und schaut den Booten zu, wie sie in den Wellen schaukeln. Es gibt Orte, wie zum Beispiel Vietro, wo die Keramik eine große Rolle spielt, in einem modernen Zentrum wird gearbeitet, eine verträumte Villa dient als Museum.

Jetzt ist aber Zeit, um endlich vom Kulinarischen zu sprechen. Omnipräsent sind die Zitronen. In Terrassen angebaut, von Kastanienpfählen gestützt, werden sie händisch gepflückt und über hunderte Stufen in Säcken hinunter getragen: dickhäutige für den Limoncello, den Zitronenlikör, und dünnhäutige zum Entsaften. Aber dabei bleibt es nicht, sie sind in der amalfitanischen Küche allenthalben vertreten: im Salat, in der Pasta, wo der Saft der Zitrone zusammen mit der „Colatura di Alici“, einer Würzsauce aus Salz und Sardellen, zu einer wahrhaften Geschmacksexplosion führt. Eine weitere Spezialität der Gegend ist die „Mozzarella die Bufala Campana“, seit 1993 als Herkunftsbezeichnung geschützt. Ob man diese Mozzarella jetzt mit etwas Olivenöl, Essig oder Salz vorsichtig nachwürzt oder ob man den feinen, zarten Geschmack durch gar nichts übertüncht, bleibt einem überlassen. Wie auch immer, dieser Geschmack lässt sich ganz und gar nicht mit dem vergleichen, was in unseren Supermärkten als Mozzarella zu finden ist.

Weiter nach Paestum. Wenn man Glück hat und zur richtigen Tageszeit kommt, am besten am späteren Nachmittag, wenn die Touristen schon abgezogen sind, ist man auch in Paestum allein. Dort stehen seit mehr als 2500 Jahren drei dorische Tempel, Hera, Poseidon und Pallas Athene gewidmet. Die ganze Anlage kann man auf der fünf Kilometer langen, alten Stadtmauer umrunden und dann auch noch das „Museo Archeologico“ besuchen.

Den Abschluss einer Fahrt entlang der Amalfiküste bildet meist Salerno. Salerno ist eine moderne Hafenstadt mit einem historischen Zentrum, das aus dem Mittelalter, der Zeit der Herrschaft der Normannen, stammt. Die Altstadt bietet all das, was für uns Mitteleuropäer den Zauber dieser italienischen Gassen und Winkel ausmacht.

Der Kulturwissenschaftler Dieter Richter nennt die Costiera Amalfitana „eines der großen Wunder Italiens“, sein Buch empfehle ich als eines der einschlägigen Nachschlagewerke für eine Reise dorthin. Dieter Richter: Costiera Amalfitana. Geschichte einer Landschaft. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2024.
Im zweiten Buchtipp geht es um Kulinarisches: Ursula Ferrigno: Die Küche von Amalfi. Sonnige Rezepte von Italiens schönster Küste. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2023.

16.7.2024. Alle Fotos in diesem Beitrag © Konrad Holzer

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