MAKKARONI, SPAGHETTI & Co

Ausschnitt aus einem Plakat für „Meinl Eierteigwaren“. Atelier Hans Neumann, um 1935
Ausschnitt aus einem Plakat für „Meinl Eierteigwaren“, Atelier Hans Neumann, um 1935

Nein, es war nicht Marco Polo, der Nudeln als kulinarische Novität aus China nach Europa brachte. Die Geschichte der italienischen Pasta hat (obwohl dies oft so erzählt wird) nichts mit dem venezianischen Asienreisenden des 13. Jahrhunderts zu tun. Sie reicht weiter zurück und ist in ihren Ursprüngen weitverzweigt. Wie vielfältig die ökonomischen, sozialen und kulturellen Komponenten sind, die ein typisch italienisches Gericht entstehen ließen, dokumentiert Massimo Montanari in seinem Buch „Spaghetti al pomodoro. Kurze Geschichte eines Mythos“.

Massimo Montanari ist Historiker, Professor an der Universität von Bologna und ein international renommierter Experte für Geschichte der Ernährung. In dem Band „Spaghetti al pomodoro“ geht es ihm um „eine Art historische Dekonstruktion“ des so populären Nudelgerichts mit Tomatensauce, um „die Zutaten, aus denen es besteht, die Techniken, mit denen selbige zubereitet, zusammengefügt, verwandelt werden.“ Denn „wenn man isst und über das Essen spricht, sind Missverständnisse und Mystifizierungen an der Tagesordnung“. So etwa liegen die Ursprünge der europäischen Nudelküche entgegen einer weitverbreiteten Meinung nicht in China, sondern im Nahen Osten. Dort entstand die Produktion von Teigwaren als eine Variante der Zubereitung von Brot und war schon in der Antike auch bei Griechen und Römern bekannt.

Anonym: „Porträt von drei Pasta-essenden Straßenjungen in Neapel“. Aufnahme entstanden zwischen 1870 und 1900 (Rijksmuseum Amsterdam)
Anonym: „Porträt von drei Pasta essenden Straßenjungen in Neapel“, Foto entstanden zwischen 1870 und 1900 (Rijksmuseum Amsterdam)

Bereits Mitte des 12. Jahrhunderts gab es auf Sizilien eine frühe industrielle Fertigung von Teigwaren. Belegt ist dies durch den arabischen Geografen Muhammad al-Idrisi. Dieser lebte in Palermo am Hof von König Roger II. und berichtete in einer seiner Schriften davon, dass man in Trabia, einem Küstenort nahe Palermo, in großen Mengen Nudeln produziere und diese dann weithin – und oft per Schiff – exportiere. Bald entstanden auch in anderen italienischen Küstenstädten Nudelfabriken, und vor allem über Genua, später auch über Venedig und Neapel, wurde die Pasta dann weiterverschickt. Innerhalb weniger hundert Jahre wurden die Teigwaren damit „von einem marginalen zu einem zentralen Faktor“ in der Geschichte der italienischen Gastronomie.

Allerdings schmeckten die Nudelgerichte lange noch nicht so, wie man sie heute kennt. Vor allem von „al pomodoro“ war noch lange nicht die Rede – und auch nicht von „Spaghetti“. Denn der Sammelbegriff für alle fadenartigen, getrockneten Nudeln lautete „Maccheroni“. Auch im Deutschen war „Makkaroni“ lange Zeit die übliche Bezeichnung – so etwa erklärte 1893 das Wiener „Neuigkeits-Welt-Blatt“ seinen LeserInnen in einem Artikel über Neapel, dass „Spaghetti“ „Maccaroni ohne Bohrung“ seien (6.10.1893). Die „Bohrung“, also das Aushöhlen der Nudeln mithilfe eines feinen Drahtes, diente übrigens dazu, den Trocknungsprozess zu beschleunigen.

Roberto Rive: Spaghettihersteller in Neapel. Aufnahme entstanden zwischen 1850 und 1920 (Rijksmuseum Amsterdam)
Roberto Rive: Spaghettihersteller in Neapel, Foto entstanden zwischen 1850 und 1920 (Rijksmuseum Amsterdam)

Zur Pasta gehört Käse: Lange Zeit war es ausschließlich Schafkäse, doch als im Verlauf des Mittelalters die Rinderzucht intensiviert wurde, entwickelte sich der Parmesan zum bevorzugten Begleiter von Makkaroni, Spaghetti & Co. So ist es auch ein Berg aus geriebenem Parmesan, von dem in Kapaunenbrühe gekochte Makkaroni und Ravioli herabrollen – „und jeder sieht zu, dass er so viel davon bekommt, wie er nur kann“ –, der in Giovanni Boccaccios „Decamerone“ zu einem Sinnbild für genussvolle Schlemmerei wird.

Als Johann Wolfgang von Goethe 1787 auf seiner „Italienischen Reise“ nach Neapel kam, vermerkte er über die Spezialitäten der dortigen Küche unter anderem: „Die Makkaroni, ein zarter, stark durchgearbeiteter, gekochter, in gewisse Gestalten gepresster Teig von feinem Mehle, sind von allen Sorten überall um ein geringes zu haben. Sie werden meistens nur in Wasser abgekocht, und der geriebene Käse schmälzt und würzt zugleich die Schüssel.“ Von Tomaten ist da – so wie in anderen zeitgenössischen Berichten und Rezeptsammlungen – keine Rede. Sie kamen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts allmählich dazu, und zwar zunächst nur als ein Klacks Soße auf die in Käse geschwenkte Pasta. „Erst im 20. Jahrhundert verkehren sich die Rollen“, schreibt Massimo Montanari: „Dann ist es der Käse, der sich zur Tomatensoße gesellt, mit der die Spaghetti und andere Sorten Pasta zuvor gründlich vermischt worden sind.“

Giorgio Sommer: Makkaroni-Fabrik in Neapel, um 1885 (Rijksmuseum Amsterdam)
Giorgio Sommer: Makkaroni-Fabrik in Neapel, Foto um 1885 (Rijksmuseum Amsterdam)

Unter den „Missverständnissen und Mystifizierungen“, mit denen Montanari in seinem überaus detailreichen Buch aufräumt, findet sich auch die Ansicht, dass zu „originalen“ Pasta-Gerichten seit jeher unbedingt auch Olivenöl gehöre. Dieses kam jedoch erst relativ spät dazu auf die Teller. Denn die traditionellen Fettbeigaben waren entweder Butter oder der billigere Schweinespeck. Und auch die Kochzeit war nicht immer schon auf „al dente“ ausgerichtet, sondern betrug bis ins 17. Jahrhundert oft eine halbe oder gar eine ganze Stunde. Schön klebrig sollten die Teigwaren sein, die mancherorts nicht nur mit Käse, sondern gerne auch mit einer Mischung aus Käse, Zimt und Zucker serviert wurden.

Knoblauch, Zwiebel, Basilikum, diverse Gewürze – das sind die weiteren Zutaten, mit denen sich Massimo Montanari in seinem Buch beschäftigt. Er liefert damit eine  lesenswerte kulinarische Spurensuche, mit der er auch aufzeigen will, dass identitätsbildende Elemente – so wie es eben die Spaghetti für Italien sind – kaum je auf einen einzigen Ursprung zurückzuführen sind, sondern zahlreiche Transformationen durchlaufen und viele verschiedene Wurzeln haben. Und, so stellt Montanari resümierend fest: „Wenn wir die Metapher voll ausschöpfen, werden wir feststellen, dass die Wurzeln häufig die anderen sind. Nach den Ursprüngen von dem zu suchen, was wir sind, wird also auch eine Möglichkeit sein, diesen anderen zu begegnen. Den anderen, die in uns leben.“

Massimo Montanari: Spaghetti pomodoro. Kurze Geschichte eines Mythos. Aus dem Italienischen übersetzt von Victoria Lorini. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020.

18.10.2020

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