Drehen, drehen, drehen … Für den perfekten Eisgenuss waren lange Zeit vor allem viel Geduld und einiges an Energie notwendig. Denn das Herstellungsverfahren bestand im Prinzip darin, dass ein Gefäß mit der zu gefrierenden Creme in einen größeren Behälter gestellt wurde. In diesem befand sich eine Kühlmischung, die meist aus zerstoßenem Natureis und Salpeter (Kaliumnitrat) bestand. Das kleinere Gefäß wurde so lange in der Kühlmischung gedreht, bis die Creme gefroren war, wobei für ein gleichmäßiges Durchfrieren immer wieder sorgfältig umgerührt werden musste.
Etwas erleichtert wurde die Prozedur, als dann – ab Mitte des 19. Jahrhunderts – Eismaschinen mit Kurbeln und geschlossenen Behältern auf den Markt kamen. Weiterhin aber hieß es in den bis in die 1920er Jahre vorwiegend stromlosen Haushalten: drehen, drehen, drehen…
Schon in der Antike kannte man eine Form des Speiseeises, das meist aus Schnee, vermischt mit Honig, Fruchtsäften, Milch oder auch mit Wein, bestand. Die kulinarische Tradition des Gefrorenen in der Art, wie man es heute kennt, begann sich in Europa aber erst ab dem 16. Jahrhundert zu entwickeln. Aus jener Zeit stammen auch die ersten Beschreibungen von Kühlmischungen mit Salpeter, – und es ist bezeichnend, dass es italienische Forscher waren, die sich damit beschäftigten. Denn von Italien nahm der Speiseeis-Boom seinen Ausgang, und bis heute ist ja italienisches Eis – Gelato – der Inbegriff des Gefrorenen-Genusses geblieben.
Verkauft wurde das Gefrorene im Sommer vor allem von Eisverkäufern und Eisverkäuferinnen auf der Straße und in rasch aufgestellten Hütten oder Zelten. Eine Beschreibung davon gab 1790 der Schriftsteller Johann Pezzl in seiner „Skizze von Wien“:
„Rings um diese Zelte steht eine Menge von Stühlen. Die schöne Welt kommt in den warmen Sommernächten schwarmweise zu diesen Erfrischungsplätzen. Man setzt sich in der trauten Dämmerung zusammen, schlürft seinen Becher Gefrorenes, scherzt, lacht, tändelt, liebelt, und ruht von der Hitze des Tages, von der Last der Geschäfte oder von Ermüdungen angenehmerer Art aus …
Das Glas Limonade kostet 7 Kreuzer, das Glas Mandelmilch 10, der Becher Gefrorenes zwischen 12 und 30 Kreuzer. Die Gattungen dieser letzteren Erfrischung sind sehr mannigfaltig; man macht es aus Pomeranzen, Limonen, Weichseln, Erdbeeren, Ribiseln, Pfirsichen, Ananas, Mandeln, aus Vanille, Schokolade etc.
Es ist in der Hitze sehr angenehm zu genießen, aber man muss es nicht unmäßig nehmen, wenn man sich nicht heftige, auch wohl tödliche Koliken dadurch zuziehen will.“[1]
Bedenken gegenüber dem Eisgenuss hatte auch Goethes Mutter, die, als der Schriftsteller noch ein Kind war, ihn und seine Schwester „eines Tages höchlich betrübte“. Denn der während des Siebenjährigen Krieges bei der Familie Goethe in Frankfurt einquartierte französische Leutnant François Thoranc, der die Kinder regelmäßig mit Süßigkeiten bedachte, hatte ihnen eines Tages auch Gefrorenes geschenkt, das die Mutter jedoch „weggoss, weil es ihr unmöglich vorkam, dass der Magen ein wahrhaftes Eis, wenn es auch noch so durchzuckert sei, vertragen könne.“[2]
Lange Zeit war der Konsum von Eiscreme ein exquisites Vergnügen gewesen – und das klingt auch in dem 1846 erschienenen Band „Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung“ an. Der Autor, Friedrich Sass (ein aus Lübeck stammender Arzt, Journalist und, wie ein zeitgenössischer Rezensent vermerkte, „Socialist aus der communistischen Schule“[3]), gab darin eine detailreiche Beschreibung der Stadt, und nutzte dabei die Gelegenheit, um die preußischen Gardeleutnants, von denen er nicht viel hielt, aufs Korn zu nehmen. Sie trafen einander, so berichtet Sass, bevorzugt im „Café Kranzler“ Unter den Linden[4]:
„Wenn man dort an Sommertagen vorübergeht, so sieht man sie alle beschäftigt, Eis zu vertilgen. Man glaube jedoch nicht, dass die Leutnants dies nur tun, um sich zu erfrischen. Im Gegenteil, sie verbinden damit einen strategischen Zweck. Denn seit der großen Revue bei Kalisch[5] hat das preußische Militär erkannt, dass zwischen ihm und den russischen Nachbarn nur eine sehr lockere, diplomatische Freundschaft bestehen könne, und dass wohl einmal die Zeit kommen dürfte, wo es ihnen feindlich gegenübersteht. Um sich für diesen großen Zeitpunkt zu rüsten und dem Schicksal der großen napoleonischen Armee zu entgehen, gewöhnen sich unsere Gardeleutnants bei Zeiten so sehr an das Eisessen, dass ihnen das russische und sibirische Eis unmöglich wird gefährlich werden.“[6]
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann die relativ rasche „kulinarische Demokratisierung“ des Eiskonsums. Die Eismaschinen wurden besser und preisgünstiger, 1851 eröffnete der Unternehmer Jacob Fussel im amerikanischen Baltimore die erste Speiseeis-Fabrik, der dann in den nächsten Jahrzehnten weltweit bald zahlreiche weitere folgten. Anleitungen für die Zubereitung von Gefrorenem fanden sich bald auch in vielen privaten Rezeptsammlungen – auch wenn manche Zutaten heutzutage überraschen mögen. So etwa beim „Gefrorenen mit Schwarzbrot“, für das die Wiener Zeitschrift „Die Frauenwelt“ in der Ausgabe vom 15. Mai 1870 das Rezept lieferte:
„Altbackenes, geriebenes, mit Zucker vermischtes Schwarzbrot und zu steifem Schnee geschlagene Sahne, welche mit Zucker und gestoßener Vanille abgeschmeckt ist, gibt man abwechselnd in die Gefrierbüchse und lässt die Masse unter Drehen 3 bis 4 Stunden fest gefrieren. Nachdem das Gefrorene gestürzt, wird es mit eingesottenen oder frischen auf dem Eise gekühlten Erdbeeren garniert und schnell serviert“.
Also auch hier wieder: drehen, drehen, drehen…
[1] Johann Pezzl, Skizze von Wien, Wien 1790, Heft 6, S. 878f. Schreibung der aktuellen Orthografie angepasst.
[2] Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, Erster Teil, Drittes Buch, Seite 63, Leipzig 1903.
[3] Europa. Chronik der gebildeten Welt. Jg. 1847, Leipzig 1847, S. 126.
[4] Das 1825 Unter den Linden eröffnete Stammhaus des Traditionscafés wurde 1944 bei Luftangriffen zerstört.
[5] Gemeint ist die Schlacht bei Kalisch, 1813, als während Napoleons Russlandfeldzug die französischen Truppen den russischen unterlagen.
[6] Friedrich Sass, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung, Leipzig 1846, S. 81f. Schreibung der aktuellen Orthografie angepasst.
6.8.2024