LEUCHTTÜRME – WÄCHTER DER SEE

Detail aus: Debenne, Entwurf für einen Leuchtturm, um 1815 (Metropolitan Museum of Art, New York)
Detail aus: Debenne, Entwurf für einen Leuchtturm, um 1815 (Metropolitan Museum of Art, New York)

Es begann spektakulär: Denn immerhin gilt der vermutlich allererste Leuchtturm, der Pharos von Alexandria, errichtet um 280 v. Chr. an der ägyptischen Mittelmeerküste, als eines der sieben Weltwunder der Antike. Die gewaltige Faszination, die dieses Bauwerk über Jahrhunderte ausübte, beruhte vor allem auf seiner imposanten Höhe. In mehreren Etagen ragte der Turm über 140 Meter auf. Bis zum Beginn des Hochhaus-Zeitalters im 19. Jahrhundert wurden weltweit nur wenige Gebäude errichtet, die höher waren. Mehr als 1500 Jahre sicherte der Pharos den Schiffsverkehr an der Hafeneinfahrt von Alexandria und war, wie Berichten von Reisenden zu entnehmen ist, noch im 12. Jahrhundert voll in Funktion – bis er durch Erdbeben in den Jahren 1303 und 1323 so sehr beschädigt wurde, dass er nicht wieder aufgebaut werden konnte.

Der Pharos von Alexandria. Kupferstich nach einer Zeichnung des österreichischen Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach, 1721.
Der Pharos von Alexandria. Kupferstich nach einer Zeichnung des österreichischen Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach, 1721

Der Pharos von Alexandria steht am Beginn des Buches „Wächter der See“, mit dem der englische Sachbuchautor R.G. Grant eine überaus interessante „Geschichte der Leuchttürme“ vorgelegt hat, die mit zahlreichen historischen Zeichnungen, Plänen, Skizzen und Fotografien illustriert ist. Grant berichtet, dass der Pharos vor allem im Römischen Reich zum Vorbild für zahlreiche ähnliche (wenn auch nicht derart hohe) Bauten wurde, dass jedoch allmählich die Technik des Leuchtturmbaus weitgehend in Vergessenheit geriet. Wiederbelebt wurde sie erst im Zuge der Entwicklung des neuzeitlichen Seehandels, denn „die dringende Notwendigkeit, die Zahl der Schiffsverluste zu reduzieren, war offensichtlich. Nach Schätzungen versanken in den 1790er-Jahren an den britischen Küsten mehr als 500 Schiffe pro Jahr.“ Leuchttürme, die einen sicheren Weg rund um Klippen, Felsen und Inseln weisen konnten, waren dringend nötig, allerdings nicht überall erwünscht, denn „viele verarmte Küstengemeinden waren auf die Plünderung von Schiffswracks angewiesen, um zu überleben.“

Der Torre de Hércules (Herkulesturm) an der Nordwestküste Spaniens ist einer der wenigen erhaltenen, funktionstüchtigen römischen Leuchttürme. Errichtet zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. zählt er heute zum UNESCO-Welterbe.
Der Torre de Hércules (Herkulesturm) an der Nordwestküste Spaniens ist einer der wenigen erhaltenen, funktionstüchtigen römischen Leuchttürme. Errichtet zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. zählt er heute zum UNESCO-Welterbe.

Die Blütezeit des Leuchtturmbaus begann im späten 18. Jahrhundert. Damals wurden auch die besonders gefährlichen Routen entlang der britischen Küsten entsprechend abgesichert. Dabei erwarb sich eine schottische Familie den Ruf als geniale Leuchtturmbauer – nämlich die Stevensons. Begründer der „Dynastie“ war Robert Stevenson, der für die Konstruktion von 16 Leuchttürmen verantwortlich zeichnete und der gleich durch sein erstes Bauprojekt berühmt wurde: Es war das 1811 in Betrieb genommene Bell Rock Lighthouse, das auf einem Felsen im Meer steht. Dieser Felsen war, bevor es den Leuchtturm gab, eine der gefährlichsten Stellen an der schottischen Ostküste gewesen, weil er nur bei Ebbe für wenige Stunden aus dem Wasser herausragt und vor allem bei den oft sehr heftigen Stürmen zahlreichen Schiffen zum Verhängnis wurde.

Robert Stevensons Söhne folgten dem Vorbild des Vaters: David und Thomas Stevenson arbeiteten gemeinsam an der Konstruktion von mehr als 30 Leuchttürmen, und Alan Stevenson machte sich vor allem durch seine Verbesserungen der Leuchtturmoptik einen Namen. Auch zwei Enkel wurden Leuchtturmbauer, ein dritter aber wich von diesem familiären Karriereweg ab: Es war Robert Louis Stevenson, der zwar kurze Zeit in Edinburgh Technik studiert hatte, dann aber eine andere Laufbahn wählte – nämlich die als Schriftsteller, die ihn mit Werken wie „Die Schatzinsel“ und „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ weltberühmt machte.

Bell Rock Lighthouse. Das von William Turner geschaffene Bild des Leuchtturms findet sich auch als Illustration in dem von Robert Stevenson verfassten Buch „An Account of the Bell Rock Light-House“ (1824). Darin liefert Stevenson nicht nur viele Details zum Bau von Bell Rock, sondern weiß auch einiges aus der Seefahrtsgeschichte zu berichten – was annehmen lässt, dass er eine ähnliche erzählerische Ader hatte wie sein Enkel Robert Louis.
Bell Rock Lighthouse. Das von William Turner geschaffene Bild des Leuchtturms findet sich auch als Illustration in dem von Robert Stevenson verfassten Buch „An Account of the Bell Rock Light-House“ (1824). Darin liefert Stevenson nicht nur viele Details zum Bau des Leuchtturms, sondern weiß auch einiges aus der Seefahrtsgeschichte zu berichten – was vermuten lässt, dass er eine ähnliche erzählerische Ader hatte wie sein Enkel Robert Louis Stevenson.

Die Errichtung von Leuchttürmen, die im Meer auf Felsen stehen, war wegen des oft hohen Seegangs und wegen Stürmen überaus schwierig und bisweilen sehr langwierig. Als Beispiel nennt R.G. Grant den 1867 begonnenen Bau des Leuchtturms auf dem Ar-Men, einem halb unter dem Wasser liegenden Granitfelsen vor der Küste der Bretagne: „In den ersten beiden Jahren konnten die Arbeiter nur 23 Mal auf dem Felsen landen und jedes Mal nur rund eine Stunde lang arbeiten, bis die Flut sie zum Rückzug zwang. Es dauerte ganze sieben Jahre, bis sie ein mit Eisenstreben im Granit verankertes Steinfundament fertig hatten“. Insgesamt brauchte es 14 Jahre, bis der heute noch funktionierende Leuchtturm fertiggestellt war.

Entwurf eines Leuchtturms (1881). Quelle: Technische Universität Berlin, Architekturmuseum
Entwurf eines Leuchtturms, 1881 (Technische Universität Berlin, Architekturmuseum)

Die „Helden“ in der Geschichte der Leuchttürme sind neben den Konstrukteuren und Bauarbeitern die Leuchtturmwärter. Sie hatten in Einsamkeit, auf engstem Raum, hoch über dem Meer ihren Dienst zu verrichten, der wenig von jener Romantik hatte, mit der er oft assoziiert wird. Der Dichter Robert Louis Stevenson allerdings kannte – durch seine Familie – die Realität. In seinem 1870 entstandenen Gedicht „The Light-Keeper“ beschreibt er den Leuchtturmwächter als jemanden, der für seine Arbeit die Annehmlichkeiten des Lebens aufgibt, der zur Bewältigung des einsamen Alltags viel Geduld und Phlegma nötig hat und der, um Geld zu verdienen, zum Märtyrer wird.

Robert Louis Stevenson: The Light-Keeper

As the steady lenses circle / With a frosty gleam of glass;
And the clear bell chimes, / And the oil brims over the lip of the burner,
Quiet and still at his desk, / The lonely light-keeper / Holds his vigil.

Lured from far, / The bewildered seagull beats / Dully against the lantern;
Yet he stirs not, lifts not his head / From the desk where he reads,
Lifts not his eyes to see / The chill blind circle of night / Watching him through the panes.

This is his country’s guardian, / The outmost sentry of peace.
This is the man / Who gives up that is lovely in living / For the means to live.

Poetry cunningly gilds / The life of the light-keeper,
Held on high in the blackness / In the burning kernel of night,
The seaman sees and blesses him.
The Poet, deep in a sonnet, / Numbers his inky fingers / Fitly to praise him.
Only we behold him, / Sitting, patient and stolid / Martyr to a salary.

Die Zeit der Leuchttürme ist vorbei: Heutzutage, da die Schiffe mit modernsten Navigationssystemen ausgestattet sind, werden die Türme als maritime Wegweiser kaum mehr benötigt. Weltweit wurden in den vergangenen Jahrzehnten Tausende von ihnen außer Betrieb gesetzt und jene, die noch funktionieren, in automatische Leuchtfeuer umgewandelt. Geblieben aber sind sie als pittoreske Land- und Seemarken, und was für eine feste Verankerung sie in unserer Vorstellungswelt haben, zeigt der Begriff „Leuchtturmprojekt“, der es – mit der Erklärung „herausragendes, wegweisendes Projekt (besonders im kulturellen und politischen Bereich)“ – auch schon in den Duden geschafft hat.

R.G. Grant: Wächter der See. Die Geschichte der Leuchttürme. A.d. Englischen von Heinrich Degen. DuMont Buchverlag, Köln 2018.

2.2.2019

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