Im August 1859 reiste der Märchendichter Hans Christian Andersen per Pferdekutsche nach Skagen, an die Nordspitze Dänemarks. Andersen wird oft als der erste moderne Tourist in dem heutzutage bei Urlaubern so beliebten Ort bezeichnet. Dies vermutlich zu Recht: Denn zuvor war wohl kaum jemand auf die Idee gekommen, die anstrengende Fahrt auf schlechten Wegen entlang der Ostseeküste (Andersen beschrieb sie als eine „Amphibienreise halb im Wasser, halb auf dem Lande“) auf sich zu nehmen, bloß um Land und Leute kennen zu lernen.
Während seines zweitägigen Aufenthaltes in Skagen wohnte Hans Christian Andersen in dem heute als Brøndums Hotel bekannten Haus. Das Gebäude im Zentrum von Skagen beherbergte damals einen Kaufmannsladen und eine kleine Pension. Zwar waren die Besitzer, das Ehepaar Ane und Erik Brøndum, durchaus versierte Gastgeber, die Ankunft einer derartigen Berühmtheit, wie sie Andersen war, versetzte aber vor allem die damals hochschwangere Ane in einige Aufregung. Außerdem soll der Dichter nach der anstrengenden Reise ziemlich übler Laune gewesen sein. Als sich dann auch noch das Küchenmädchen beim Fischhändler, von dem es ein paar frische Schollen für den anspruchsvollen Gast holen sollte, verplauderte und Andersen daher sein Abendessen mit reichlicher Verspätung bekam, soll er sich – so erzählt man es bis heute in Brøndums Hotel – so „hysterisch“ aufgeführt haben, dass bei Ane Brøndum vor Schreck die Wehen einsetzten. Sie brachte ein Mädchen zur Welt und meinte, dass die Tochter sicher ein besonderes künstlerisches Talent mitbekommen habe, weil doch zur Zeit ihrer Geburt Hans Christian Andersen im Haus anwesend gewesen war.
Ane Brøndum sollte Recht behalten – zumindest, was das künstlerische Talent ihrer Tochter Anna anging. Denn schon bald zeigte sich, dass diese sehr gut malen und zeichnen konnte. Das fiel auch dem Maler Michael Ancher auf, der ab Mitte der 1870er Jahre sehr oft in Skagen zu Gast war. Ancher unterstützte die um zehn Jahre jüngere Anna in ihren künstlerischen Ambitionen, die beiden verliebten sich ineinander und heirateten an Annas einundzwanzigstem Geburtstag.
Zu jener Zeit begann sich eine Art Künstlerkolonie zu formieren, deren Mittelpunkt Anna und Michael Ancher wurden und die als „Skagenmaler“ internationale Bekanntheit erlangen sollte. Beeinflusst vom französischen Realismus und der Pleinairmalerei fanden die Künstlerinnen und Künstler ihre Motive in und um Skagen. Oft sind es Szenen aus dem harten Leben der Fischer und Bauern, die sie in ihren Bildern festhielten. Zu sehen sind viele dieser Gemälde im Kunstmuseum von Skagen, das eine beeindruckende Sammlung von mehreren tausend Kunstwerken umfasst. Eine besondere Attraktion des Hauses ist auch der alte Speisesaal aus Brøndums Hotel, also jener Raum, in dem einander einst die Künstler zum Mittagessen trafen. 1946 wurde er in das Museum transferiert – zusammen mit jenem Gemäldefries, der ringsum direkt unterhalb der Decke angebracht war. Es sind mehrere Dutzend Porträts, welche die Skagenmaler im Laufe der Jahre voneinander gemalt haben und dem Hotelbesitzer schenkten oder ihm in manchen Fällen als Gegenleistung für Kost und Logis überließen.
Was die Künstler in Skagen besonders faszinierte und was sie in ihren Bildern immer wieder festzuhalten versuchten, war das ganz spezielle „Skagen-Licht“, das alles ringsum klarer und die Farben strahlender wirken lässt. Es ist der Sand, der hier ins Spiel kommt: Denn die Milliarden von feinsten Sandkörnern in den Dünen und an den Stränden wirken wie reflektierende Prismen, die ein starkes, weißes Licht entstehen lassen, in dem die Schatten nahezu verschwinden. Aber auch das umgebende Meer mit seinen glitzernden Wellen tut seine Wirkung.
Dieser Text ist ein leicht adaptierter Ausschnitt aus dem Buch:
Barbara Denscher „Lesereise Dänemark. Von Wikingern und Brückenbauern“. Picus Verlag, Wien. Auch als E-Book erhältlich.
Fotos: B. Denscher