Wenn jemand es schaffte, Idylle und Ironie in einem Werk gleichwertig nebeneinander zu stellen, dann war das Jane Austen. Zu Beginn eine kurze Biografie: Jane Austen wurde 1775 als Tochter eines Geistlichen in der englischen Grafschaft Hampshire geboren. Ihr Schreiben wurde früh gefördert, mit 24 Jahren machte sie es zum Beruf. Ihr Pseudonym „By a Lady“ wurde erst spät von ihrem Bruder Henry gelüftet. Sie blieb ledig, geriet oft in finanzielle Bedrängnis, der kommerzielle Erfolg ihrer Romane stellte sich erst spät ein. Von ihrem privaten Leben ist relativ wenig bekannt, dazu äußerte sie sich primär in Briefen an ihren Lebensmenschen, ihre Schwester Cassandra. Diese vernichtete aber einen Großteil davon nach Janes Tod, sie wollte ihre Schwester vor posthumen Zudringlichkeiten schützen. 1815 begann Jane Austen zu kränkeln, woran sie dann zwei Jahre später starb, ist bis heute ungeklärt.
Was begeistert an Jane Austen? Wodurch entsteht dieses unbeschreibliche Wohlgefühl, das sich dann einstellt, wenn man sich in ihre Bücher hineinfallen lässt? Eine ganz wichtige Rolle spielt da sicherlich die exquisite Umsetzung ihrer Werke sowohl in Filmen als auch in Fernsehserien, das Herausstreichen dieses – für uns Mitteleuropäer – so ganz besonderen englischen Ambientes. Folgt man Austens Beschreibung von Landschaften und Häusern, begibt man sich mit ihr in die Welt der Cottages und Herrenhäuser, dann kann man das nur als Idylle bezeichnen. Dieses Ambiente bietet aber auch den Hintergrund für ganz besondere Geschichten, die – wenn man es genau nimmt – immer wieder Variationen einiger weniger Grundthemen sind: Da sind einmal die vorerst etwas undurchsichtigen Familienverhältnisse – nicht umsonst ist Patchwork ein englisches Wort – und die klar umrissene Gesellschaftsschicht, in der sich die Romane abspielen. Es ist die „landed gentry“, der niedere Landadel und das Bürgertum mit Grundbesitz, aus der die Heldinnen kommen. Das sind junge Frauen auf der Suche nach den richtigen Männern. Ein gewisses Wohlgefühl entsteht bei altmodischen LeserInnen mit Hang zu Happy Ends dabei auch daraus, dass man bei Jane Austen sicher sein kann, dass die Suche der jungen Frauen immer erfolgreich ist.
Das allein kann es aber nicht sein, was seit mehr als 200 Jahren das Publikum fesselt, all dieses Schwelgen in romantischen Gefühlen und rosenbewachsenem Ambiente wäre zu wenig. Jane Austen federt Wohlgefühl genau kalkuliert ironisch ab. Schon ihre ersten Schreibversuche – die in ihrer Familie durchaus auf Verständnis und Unterstützung stießen – waren Parodien. Die Empfindungsromane und die populäre Geschichtsschreibung ihrer Zeit waren da Zielscheiben ihres Spotts. In ihrem ersten Werk, dem erst posthum veröffentlichten Briefroman „Lady Susan“, gibt die 19-Jährige voll und ganz ihrer Spottlust nach. Später dann hat sie lauten Spott in leise Ironie verwandelt. Da plätschern Dialoge nur vordergründig oberflächlich dahin, hört man jedoch den jungen Frauen genau zu, dann spürt man, ein wie intensives Gefühlsleben unter all dem Gerede liegt. Das sind nicht nur inhaltliche, sondern auch formale Meisterleistungen. Austen hat es sich aber auch nie leicht gemacht, nahezu alle ihre Romane hat sie mehrmals überarbeitet, einige sogar radikal umgeschrieben. 16, 17, ja 19 Jahre zwischen Arbeitsbeginn und Erscheinen waren bei ihr durchaus üblich. Die gesellschaftlichen Verhältnisse spielen in diesen Werken eine ganz große Rolle, ganz selten aber kommt Politik ins Spiel.
Ihre Bücher: Sie schrieb Romane, eine literarische Gattung, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade populär zu werden begann, um ihr Ansehen aber noch einige Zeit kämpfen musste. Es trug auch nicht zum guten Ruf einer Frau bei, wenn sie Romane schrieb (daher auch das Pseudonym: „By a lady“). Die deutschen Übersetzungen der Bücher Jane Austens tragen unterschiedliche Titel. Nimmt man nur eines ihrer wichtigsten Werke her, nämlich „Persuasion“, dann findet man dieses unter „Überredung“ oder „Anne Elliot“. „Sense and Sensibility“ gibt es sowohl unter „Verstand und Gefühl“ als auch unter „Vernunft und Gefühl“.
Die Austen-Begeisterung führte dazu, dass vor ein paar Jahren sowohl die unvollendeten Romane „Die Watsons“, „Lady Susan“ und „Sanditon“ in einer neuen deutschsprachigen Ausgabe – als Sammelband – herausgegeben wurden, als auch sämtliche Jugendwerke, die unter dem Titel „Die schöne Cassandra“ vorliegen. Beide Bände sind, von Ursula Grawe und Christian Grawe übersetzt und von Christian Grawe jeweils mit einem Nachwort versehen, bei Reclam erschienen. Diese Nachworte gehen auf die bibliografischen Daten ein und – wer kann das verübeln – ironisch auf die Inhalte. Bei Reclam liegen darüber hinaus die Übersetzungen von nahezu allen wichtigen Romanen Austens vor, Editionen gibt es aber auch im Deutschen Taschenbuchverlag, bei btb und im Insel-Taschenbuchverlag.
Der Gerechtigkeit halber sei am Ende noch erwähnt, dass nicht alle Welt die Austen-Begeisterung teilt. Mark Twain hat seine Abneigung eindeutig am geschmacklosesten geäußert: „Jedes Mal, wenn ich ‚Stolz und Vorurteil‘ lese, möchte ich die Frau am liebsten ausgraben und sie mit ihrem eigenen Schienbein versohlen.“ Aber auch die Brontë-Schwestern Charlotte („Jane Eyre“) und Emily („Sturmhöhe“), die mit ihren Romanen weitere Höhepunkte der englischen Literatur des 19.Jahrhunderts lieferten, hassten Austens Bücher – und Virginia Woolf meinte, dass sie alles, was die Austen geschrieben habe für die Hälfte des Werks von Emily Brontë gebe.
Doch zum Schluss soll wieder die Begeisterung Oberhand gewinnen. Da hilft eine BBC-Umfrage, die ergab, dass für 93 Prozent aller englischen Frauen ‚Stolz und Vorurteil‘ jenes Buch ist, mit dem sie sich am stärksten identifizieren.
16.7.2017