KAFFEE UND TEE: ERSATZMITTEL, SURROGATE, SUBSTITUTE

Immer wieder wird bei entsprechenden Problem- oder Notlagen nach Ersatzstoffen gesucht, die ein knappes oder teures Gut halbwegs zu ersetzen in der Lage sind. In jüngster Vergangenheit traf dies zum Beispiel in der DDR auf den Ersatz von teuer einzuführendem Kakao zu, im Zweiten Weltkrieg ging es um Naturkautschuk, der für die Bereifung von Fahrzeugen in Deutschland nicht mehr zugänglich war. Im Ersten Weltkrieg wurde nach vielen Ersatzstoffen gesucht, so für Fleisch, Tabak, Kaffee und Tee.
Solche Phasen gab es immer wieder, und einige prägnante Momente stammen bereits aus dem 17. und 18. Jahrhundert. So etwa wird in einem kleinen Büchlein aus dem Jahre 1798 ausführlich beschrieben, wie und wodurch Kaffee und Tee zu ersetzen wären.[1]

Buchcover

Das Buch wurde von einem namhaften Autor geschrieben, dessen Kompetenz nicht in Frage steht: Dr. Georg Heinrich Piepenbring, geboren am 5. Januar 1763 in Horsten (Niedersachsen), gestorben am 6. Januar 1806 in Rinteln (Niedersachsen), war Chemiker, Pharmazeut, Arzt und Apotheker. Er trat als Verfasser und Herausgeber zahlreicher Schriften zur Medizin und zur Chemie in der Landwirtschaft hervor, wobei es dabei thematisch vielfach um soziale und ökonomische Aspekte ging.

Zu seiner Motivation für das Buch „Teutscher Caffee und Thee“ schreibt Piepenbring in seinem Vorbericht: „Unter den verschiedenen Substituten des ausländischen Caffee’s ist keines, das sich so vorzüglich auszeichnet, als die bekannten Runkelrüben (Beta cicla), auch Burgunderrüben, Kümmelrüben, Dickwurzel genannt. In einigen Gegenden werden sie auch schon zu diesem Zweck benutzt. Allein mehrere kennen sie nur als Viehfutter. Diese wünschte ich mit dem Nutzen der Runkelrüben näher bekannt zu machen, und sie zu unterrichten, wie man sich einen gut und rein schmeckenden Caffee bereiten könne, ohne dazu so viel Caffeebohnen zu nehmen, als gewöhnlich. Bey dieser Gelegenheit wollte ich denn auch meinen Lesern, die noch nicht bekannt damit sind, ein neues Thee-Surrogat kennen lehren, das manchem vielleicht eben so willkommen seyn dürfte.
Gemeinnützigkeit war also die Triebfeder, welche mich veranlaßte, diese kleine Schrift abzufassen. Ob ich Dank dafür verdiene, überlasse ich denen zu entscheiden, die Beruf dazu finden, über sie zu urtheilen.“
[2]

„Teutscher Caffee“
In einer ausführlichen Einleitung begründet Georg Heinrich Piepenbring, warum es notwendig sei, einen Ersatzstoff für die Einfuhr von Kaffeebohnen aus fernen Ländern zu finden. Er verweist darauf, dass Kaffee sich großer Beliebtheit erfreue und dass gerade deshalb die Importkosten den Staat stark belasten. Auch sei es für den einzelnen Bürger aufgrund von erheblichen Teuerungen schwerer geworden, den Lebensunterhalt zu bestreiten und die Familie angemessen zu versorgen. „Denn leider“, so schreibt Piepenbring, „sind die Zeiten gekommen, in welchen wegen der so hoch gestiegenen Preise der Lebensmittel wenige vom Mittelstande, und noch viel wenigere aus den geringern Klassen mit ihrer Einnahme auskommen können, wenn sie nicht aufs genaueste die Einnahme und Ausgabe vergleichen und letztere so viel als möglich einzuschränken suchen.“

Um das Ausmaß der Teuerung zu illustrieren, vergleicht Piepenbring, wieviel jeweils ein Pfund (Pf.) verschiedener Waren (Butter, Rapsöl, Kerzen, Seife, Reis, Kaffee, Zucker) um 1763 und im Erscheinungsjahr seines Buches, also 1798, kostete.

Die Abkürzung Ggr. steht für Guter Groschen (eine bis ins 19. Jahrhundert gebräuchliche Silbermünze). Die Untereinheit dazu war der Pfenning (pf.). 12 Pfenning waren ein Guter Groschen, 24 Gute Groschen waren 1 Taler.
Die Abkürzung Pf. bedeutet Pfund, Ggr. steht für Guter Groschen (eine bis ins 19. Jahrhundert gebräuchliche Silbermünze). Die Untereinheit dazu war der Pfenning (pf.). 12 Pfenning waren ein Guter Groschen, 24 Gute Groschen waren 1 Taler.

Piepenbring liefert noch weitere Beispiele für die massive Teuerung[3]: „In der Jahreszeit, in welcher die Heringe wohlfeil zu seyn pflegten, konnte man sonst das Stück zu 3 pf. erhalten, vor Kurzen aber mußte man dafür 1 Ggr. 6 pf. bezahlen. Das Pf. Rindfleisch, welches sonst etwa 1 Ggr. kostete, ist jetzt bis 2 Ggr. gestiegen. Das Brodkorn ist theurer. Das Vieh ebenfalls. Die Professionisten sind mit ihren verfertigten Waaren theurer. Der Tagelöhner, das Gesinde, kurz Jeder fordert mehr, alles ist zum Erstaunen gestiegen.“

Doch nur bei wenigen „Dienern des Staats“ habe sich, „die Besoldung in gleichen Verhältniß erhöhet“, vielmehr seien die Gehälter noch dieselben wie vor hundert Jahren: „Die ersten Diener des Staats, welche ein Gehalt von 600 bis 1200 Thaler und noch darüber haben, können es wohl aushalten, können wohl theure Zeiten ertragen und noch immer ihre Geschäfte ohne Nahrungssorgen verrichten. Die Diener, die in den wohlfeilen Jahren mit etwa 200 Thaler Gehalt angesetzt wurden, konnten es damals in ihrer Lage auch aushalten und konnten ihre Amtspflichten bey einer vernünftigen Sparsamkeit eben so sorgenlos als jene verrichten. Jetzt aber haben sich die Zeiten in Rücksicht auf sie sehr geändert. Jetzt können solche Diener mit Frau, Kindern und dem nöthigen Gesinde unmöglich mehr von etwa 200 Thaler jährlich leben.“

Wenn kein eigenes Vermögen und keine Möglichkeit eines Zuverdienstes vorhanden sei, müssten diese Staatsdiener „schlechterdings Schulden machen, und dadurch sich und die ihrigen in eine traurige Lage versetzen. Möchte sich doch diese so niederdrückende Ansicht bald verändern!“
Noch schlimmer treffe es „die untern Klassen“:  „Wenn man in die Hütten solcher Menschen kommt, wozu man als Arzt oft Gelegenheit hat, und hört und sieht, dann wird es manchmal unbegreiflich wie es ihnen möglich ist noch das Leben davon zu tragen. Denn dieser Klasse von Menschen fehlt es nicht selten an baarer Einnahme. Schwer wird es ihnen das Geld zu der nöthigen Ausgabe herbey zu schaffen, und doch geht bey ihnen wie bey jedem andern, Essen und Trinken auch seinen Gang.“

In der Folge geht Georg Heinrich Piepenbring ausführlich auf den Kaffee ein.[4] Dieser scheine, so schreibt er in durchaus missbilligendem Ton, in neueren Zeiten für viele Menschen unentbehrlich geworden zu sein: „Unsere Vorältern dachten nicht einmal an Caffee und lebten doch. Sie nahmen des Morgens ihr Mus, Biersuppe u. dgl. ein und standen sich dabey gut. Wir aber müssen jeden Morgen und Nachmittag Caffee trinken, und manche müssen ihn trinken wenn nicht ihre Zufriedenheit gestöhrt werden soll. Wodurch aber der Luxus der mit Caffee getrieben wird noch höher steigt, ist: daß er von so vielen Menschen nicht nur des Morgens und Nachmittags getrunken wird, sondern daß er bey ihnen die Stelle des Mittag- und Abendessens vertritt.“

Die Tatsache, dass Kaffee offenbar bei vielen Menschen zu einem „dringenden Bedürfnis“ geworden sei, führe zu einem stark gestiegenen Import. Piepenbring dokumentiert dies mit der Mengen an Kaffee, die 1796 in Hamburg angeliefert wurde: Es waren 50.085 Fässer und 119.329 Ballen und Säcke mit einem Gesamtgewicht von 39 1/6 Millionen Pfund.
Dieser große und teure Import von Kaffee führe zu „ungeheuren Ausgaben in den Haushaltungen“. Dies habe „mehrere Obrigkeiten veranlaßt, Mittel zu versuchen der großen Consumtion des Caffee’s Einhalt zu thun. Man verbot den Gebrauch desselben und ließ strenge auf die Befolgung der deswegen erlassenen Verordnung wachen. Dies alles aber war vergebliche Mühe. Die Verordnungen und Verbote wurden nicht geachtet, die Aufseher hintergangen und sahen oft mit offenen Augen nicht.“

Exkurs Kaffee
In Europa wurde Kaffee ab dem 17. und frühen 18. Jahrhundert zum beliebten Genussmittel. Vorbildgebend war dabei u.a. der Kaffeekonsum an den Höfen der französischen Könige Ludwig XIV. und XV.. Erste Kaffeehäuser eröffneten in Italien, England, Frankreich, in Österreich und Deutschland. Den Import kontrollierten zunächst die Niederländer. Kaffee gehört zu den ersten Gütern, die in großem Umfang aus den Kolonien europäischer Staaten importiert wurden. Allerdings verlangte die Einfuhr große finanzielle Mittel vom Staat, sodass der preußische König Friedrich II. im Jahre 1766 die private Einfuhr von Kaffeebohnen verbot. In der Folge blühte der Schmuggel.

Schließlich wurde im Jahre 1781 in Preußen auch das private Rösten von Kaffee verboten. Zur Durchsetzung des Verbots wurden sogenannte „Kaffeeriecher“ oder „Kaffeeschnüffler“ eingesetzt, die bei Hausdurchsuchungen verbotenes Rösten „erschnüffeln“ sollten.

„Die Kaffeeriecher. Nach einem Gemälde von L. Katzenstein“. In: Die Gartenlaube, 1892, S. 257.
„Die Kaffeeriecher. Nach einem Gemälde von L. Katzenstein“. In: Die Gartenlaube, 1892, S. 257.

Trotz aller Repressalien, ließ sich das Trinken von Kaffee nicht wieder eindämmen, sodass im Jahre 1787 das Verbot wieder aufgehoben wurde. Auch der wirtschaftliche Schaden durch den Schmuggel und seine Bekämpfung mochten zu dieser Entscheidung beigetragen haben.

„Substitute des Caffee’s“
Vor dem Hintergrund, dass, zum einen, der weitverbreitete Kaffeegenuss nicht mehr zu verhindern war (Verbote halfen ja nicht), und dass, zum anderen, der Import von Kaffeebohnen nach wie vor immens hohe Kosten verursachte, legte Georg Heinrich Piepenbring in seinem Buch dar, wie man einen annehmbaren Ersatz für Kaffee schaffen könnte.[5] Zunächst gab er einen Überblick über bereits länger bekannte Ersatzstoffe: „Hülsen und Kerne der Baumwolle; Futter- oder Feldbohnen; Buchnüsse; Dattelkerne; Eicheln; Erbsen; Erdäpfel; Gerste; Gerstengraupen; Kartoffeln; Kastanien; Kichern [Kichererbsen]; Klebkrautsamen; Mandeln; welsche Nüße; Roggen, Weitzen; türkischer Weitzen; Hagebutten; Reiß.“

Allerdings konnte sich, so Piepenbring, keiner dieser Ersatzstoffe durchsetzen, denn bei jedem gab es irgendetwas auszusetzen. Man machte daher unter anderem Versuche mit roten Rüben, die „einen sehr brauchbaren Caffee“ ergeben. Da aber „ihr Anbau gutes und fettes Land erfordert, und man dies nicht immer hat“, „so hat man sie nie als Caffee häufig gebraucht.“

Wesentlich erfolgreicher sei die Verwendung von gerösteten Zichorienwurzeln als Ersatz für Kaffeebohnen: „Man hat sogar an mehrern Orten Fabriken errichtet, in welchen die Cichorienwurzeln im Großen zubereitet werden, und verschickt das Präparat selbst in Ausland.“ Wenn nur „der Cichoriencaffee das Getränk eines Jeden wäre“, dann könnte er, so meint Piepenbring, den echten Kaffee vielleicht ganz verdrängen.

Noch bessere Chancen aber gibt er der Runkelrübe: „Denn es ist die Wahrheit, daß die Runkelrüben nicht nur ein gutes, sondern zugleich wirklich ein Substitut sind, das in Rücksicht seines angenehmern und reinern Geschmacks dem wahren Caffee am ähnlichsten ist.“

Alois Pokorny: Rübe (Beta vulgaris). Lithografie um 1850 (Wikimedia)
Alois Pokorny: Rübe (Beta vulgaris). Lithografie um 1850 (Wikimedia)

In einem eigenen, umfangreichen Kapitel berichtet Piepenbring „Von dem Anbau der Runkelrüben“ und betont dabei, dass der Anbau nicht nur wegen der Verwendung der Wurzeln als Kaffeeersatz von Nutzen sei: „Die Blätter können dem Horn- und Schweinevieh als ein sehr gutes Futter gereicht, auch als Spinat zubereitet für unsere Tafel gebraucht werden.“

Ebenso ausführlich widmet er sich, wiederum in eigenen Kapiteln, dem „Rösten der Runkelrüben“ und der „Zubereitung des Runkelrübencaffee’s“. Dabei empfiehlt er eine Mischung aus Runkelrüben und Kaffeebohnen.

„Die Zubereitung des Runkelrübencaffees ist von der des Caffees ohne Zusatz nicht verschieden, ein Quentchen geröstete und gemahlene Runkelrüben und ein Quentchen gemahlene Caffeebohnen mit vier Tassen voll kochenden Wassers übergossen, und damit, wie gewöhnlich, aufgekocht, ist die ganze Vorschrift. Wird dieses Getränk mit guter und einer hinreichenden Menge von Milch versetzt, so erhält man einen Caffee von gutem Ansehen, und gelblicher Farbe, der ohne allen Nebengeschmack und Geruch so beschaffen ist, dass er allgemeinen Beyfall findet.“
„Die Zubereitung des Runkelrübencaffees ist von der des Caffees ohne Zusatz nicht verschieden, ein Quentchen geröstete und gemahlene Runkelrüben und ein Quentchen gemahlene Caffeebohnen mit vier Tassen voll kochenden Wassers übergossen, und damit, wie gewöhnlich, aufgekocht, ist die ganze Vorschrift. Wird dieses Getränk mit guter und einer hinreichenden Menge von Milch versetzt, so erhält man einen Caffee von gutem Ansehen, und gelblicher Farbe, der ohne allen Nebengeschmack und Geruch so beschaffen ist, dass er allgemeinen Beyfall findet.“

Piepenbring argumentiert auch mit den relativ geringen Kosten. Für einen Jahresvergleich berechnet er 61 Thaler für Kaffeebohnen und lediglich 15 Thaler für den Runkelrübenkaffee.[6]

Allerdings würde ich jetzt keinen gesteigerten Wert darauf legen, einen Runkelrübenkaffee serviert zu bekommen, oder gäbe es eine Überraschung?

Ein weiteres koloniales Produkt war der Tee, und mit dem Ersatz dieses Getränks setzt sich Piepenbring im zweiten Teil seines Büchleins auseinander.

„Teutscher Thee“
„Zu den warmen Getränken die im 17ten Jahrhundert schon gebräuchlich waren, und bis auf unsere Zeiten beybehalten sind, gehört unter andern der Aufguß von Theeblättern. Nicht zu gedenken des üblen Einflußes welchen der Thee beym übermächtigen Gebrauch auf die flüßigen und festen Theile unsers Körpers hat, wird er von einigen Völkern so häufig getrunken, daß der Teekessel so zu sagen nicht vom Feuer kommt. So ist z. B. bei den Chinesen der Thee ein sehr gewöhnliches Getränk. Die Holländer, Schweizer und Engländer halten bekanntlich ebenfalls viel auf Thee. Auch bei uns ist er allgemein beliebt.
Das Gewächs, von welchen der Thee genommen wird, ist ein Strauch, der 5 Fuß und darüber hoch wird, von unten bis oben ästig ist, und blos in China und Japan zum Theil wild wächst, theils aber auch daselbst mit vielem Fleiß angepflanzt wird.
Man macht einen sehr großen Unterschied zwischen dem Thee in Absicht auf seine Farbe sowohl als auch auf die Lieblichkeit seines Geruchs und Geschmacks und der Gestalt der Blätter. Diese sollen eyrund, steif, glatt sägenförmig gezähnt seyn, und sehr kurze Blattstiele haben.“

Teepflanze. Aus: Köhler's Medizinal-Pflanzen in naturgetreuen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte. Bd. 2, Bildtafel 136. 1887.
Teepflanze. Aus: Köhler’s Medizinal-Pflanzen in naturgetreuen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte. Bd. 2, Bildtafel 136. 1887.

„Die vornehmsten Arten des Thees sind der grüne Thee und der Theebou. Die Blätter des ersten Thees sind kraus und grün, riechen oft nach Veilchen und geben dem Wasser eine grünliche Farbe. Man sammelt sie im May und Junius, dörret sie über einem eisernen Bleche bey gelinden Feuer, und rollt sie während dem zwischen den Händen, um eine große Menge davon in einem engen Raum versenden zu können. Dieses Thee‘s bedient man sich in China bey Besuchen, ob gleich der Gebrauch des Theebou in dem ganzen Reich weit allgemeiner ist, weil man ihn für gesünder hält.“

Der, wie Piepenbring ihn nennt „Theebou“ (was eine bis Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchliche Bezeichnung für braunen bzw. schwarzen Tee war) wird in drei Gattungen eingeteilt: „Die erste Gattung erhält man von den neu angepflanzten Sträuchern, und wählt dazu die kleinsten und zartesten Blätter, die man Anfang des März bis zum April sammelt; sie heißt: Mau Cha.“ Dieser Tee sei im Deutschen als „Kaisertee“ bekannt, weil er, aufgrund seiner hohen Qualität, im Herkunftsgebiet als Geschenk für den Kaiser gelte. Ein Pfund davon koste 14 Gute Groschen 3 Pfennig.

„Die zweyte Gattung besteht in mehr ausgebreiteten oder halb ausgefalteten Blättern. Man sammelt sie im May, und verkauft sie in China unter dem Namen des guten Theebou. Die dritte Gattung besteht aus den völlig ausgewachsenen Blättern, welche um einen Monat später eingeärndtet [geerntet] wird. Sie giebt die gemeinste und wohlfeilste Sorte, von schwärzlicher Farbe und zusammenziehendem Geschmack.“

Eine weitere Art von Tee sei jene „aus den nicht aufgeschlossenen Blumen des Strauchs, die man im März sammlet, und an der Sonne dörret. Dieser Thee ist aber sehr theuer, wenn er gleich weder in seiner Farbe, noch in seinem Geschmack etwas vorzügliches hat, und aus diesem Grunde auch in dem Palaste des Keysers und von dem Keyser selbst wenig gebraucht wird.“

Aus Japan komme, so Piepenbring, nur wenig Tee nach Europa, der meiste stamme aus China und werde über den Hafen von Kanton (Guangzhou) nach Europa geliefert.

Verpacken und Wiegen von Tee bei einem der Händler in Kanton. Aus: Jacobus Boelen: Reize naar de Oost- en Westkust van Zuid-Amerika en van daar naar de Sandwichs- en Philippijnsche Eilanden, China enz. gedaan, in de jaren 1826, 1827, 1828, en 1829. 1835. Amsterdam, 1835 (British Library, Public Domain)
Verpacken und Wiegen von Tee bei einem der Händler in Kanton. Aus: Jacobus Boelen: Reize naar de Oost- en Westkust van Zuid-Amerika en van daar naar de Sandwichs- en Philippijnsche Eilanden, China enz. gedaan, in de jaren 1826, 1827, 1828, en 1829. 1835. Amsterdam, 1835 (British Library, Public Domain)

Der kostbarste und beste Tee aber, der nur selten erhältlich sei, werde von russischen Karawanen nach Europa gebracht, „die alle zwey oder drey Jahre nach Peking ziehen. Er ist, wie dieser ganze Handel ein Eigenthum des rußischen Keysers, und kommt nur als Geschenk in andere Hände.“
„Die Methode, den Thee zu bereiten, ist verschieden. In China wird von den gemeinen Leuten der schlechte Thee häufig in einen großen Kessel geworfen und den ganzen Tag mit Wasser abgekocht. Die Vornehmen bedienen sich ihres feinen Thee’s, fast auf gleiche Art, als wir, jedoch ohne Zucker. Nur die Tartarn trinken ihn mit Milch. In Japan wird der Thee zu Pulver zerrieben, mit heißem Wasser vermischt, so lange umgerührt bis er schäumt, und ohne Zucker getrunken.“

Exkurs Tee
Die Geschichte des Tees reicht laut Legenden aus Indien und China rund 5.000 Jahre zurück. Erste Erwähnung findet ein „Getränk aus gekochten Blättern“ dann im 4. Jahrhundert in China. Im 8. Jahrhundert erscheint „Das klassische Buch vom Tee“. Der Tee wird zu einer kostbaren Handelsware. Ab dem 13. Jahrhundert kommen neue Teesorten hinzu, das Fermentieren ermöglichte die Herstellung von Oolong und schwarzem Tee. Parallel dazu entwickelte sich eine Kultur des Gebrauchs, es entstanden auch spezielle Gefäße und es bildeten sich Rituale heraus. Anfang des 17. Jahrhunderts beginnt die Niederländische Ostindien Kompanie über den Seeweg Tee nach Europa einzuführen, später wurde auch der Landweg über Russland genutzt. Erste Coffee Houses in London servieren Tee ab Mitte des 17. Jahrhunderts. In der Folge eröffnen Teegeschäfte.

Über England gelangte der Tee dann nach Amerika, in die neue Welt, dort spielte er auch eine historisch wichtige Rolle: Der Streit zwischen der Kolonialmacht, dem „Mutterland“ Großbritannien, und 13 amerikanischen Kolonien um Steuern und Zölle spitzte sich so zu, dass am 16. Dezember 1773 Bostoner Bürger 342 Kisten Tee der britischen „East India Company“ von im Hafen liegenden Frachtschiffen über Bord warfen. Diese Aktion – später als Boston Tea Party berühmt geworden – stand am Anfang einer Widerstandsbewegung, die schließlich im April 1775 in den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg mündete.

Anonym: Destruction of the Tea in Boston Harbour, Holzschnitt, USA, 1856
Anonym: Destruction of Tea in Boston Harbor. Holzschnitt, USA, 1856

Tee wird zu einem globalen Handelsgut. Der Transport befördert auch weitere Entwicklungen, von der Verpackung bis zum Segelschiffbau. Berühmt wurden die Teeclipper-Rennen, denn wer als erster mit der neuen Ernte aus China in London anlanden konnte, der konnte den Tee am teuersten verkaufen. Das Rennen von 1866 wurde besonders berühmt. Drei Schiffe absolvierten die 25.900 km vom Hafen im chinesischen Fuzhou nach London in 99 Tagen, wobei die „Ariel“ und die „Teaping“ im 20-Minuten Abstand einliefen. Die Inbetriebnahme des Suezkanals läutete 1869 das Ende der Teeclipper ein, zudem war die Entwicklung von Dampfschiffen soweit fortgeschritten, dass sie die Segelschiffe als wichtigstes Transportmittel abzulösen begannen.

Einer der schnellen Teeclipper, die Taeping, 1872 vor China verschollen. Foto eines Gemäldes von Allan C. Green (State Library Victoria. Public Domain)
Einer der schnellen Teeclipper, die Taeping, 1872 vor China verschollen. Foto eines Gemäldes von Allan C. Green (State Library Victoria. Public Domain)

Allerdings wurde der Tee erst Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem wirklichen Volksgetränk. Aber auch andere Aufgussgetränke wurden angeboten. Nicht unbedingt als Ersatzstoff, sondern als eigenständiges Angebot. Als Konkurrenz hat sich u.a. Mate-Tee etablieren können. Heute ist Tee, nach Mineralwasser, das am meisten konsumierte Getränk weltweit.[7]

Trinkt Paraquay Thee. Wirkt anregend, nicht aufregend. Billigstes Volksgetränk, Blechschild, hergestellt von Otto Lutge, Berlin um 1890 (Sammlung René Grohnert)
Trinkt Paraquay Thee. Wirkt anregend, nicht aufregend. Billigstes Volksgetränk, Blechschild, hergestellt von Otto Lutge, Berlin um 1890 (Sammlung René Grohnert)

Jetzt aber zurück zum Kapitel über den „Teutschen Thee“: Auch hier folgt Georg Heinrich Piepenbring der Struktur, wie er sie beim Kaffee eingeführt hat. Zunächst beschreibt er, was es an bisherigen Versuchen gab, den „ausländischen Thee zu ersetzen“[8] – vom Gebrauch von Melisse, Salbei, Scharfgabe, Pfirsichblätter, Meerhirse, Waldhirse und Steinsamen über die Empfehlung, statt des Tees leicht erwärmtes Mineralwasser mit Milch und Zucker zu trinken, bis zu Erfahrungen mit Johanniskraut und Ginsterblüten. Allerdings, so stellt er mit Bezug auf die Ginsterblüten fest, „möchten wohl nur wenige dazu Appetit haben, diese Blume als Thee zu trinken, es sey denn, daß sie als Arzney verordnet würden.“

Dem „vorzüglichsten Ersatzmittel des ausländischen Thee’s“ widmet Piepenbring dann das letzte Kapitel seines Buches. Bei diesem vorzüglichen Ersatzmittel handelt es sich um die Blätter des Himbeerstrauches: „Ich weiß nicht wie ich darauf verfallen bin, ob ich es irgendwo gelesen habe, oder ob es eigner Gedanke war, daß man die Blätter dieses Strauchs als Thee benutzen könnte. Genug, ich habe sie als Thee versucht, und muß gestehen, daß mir in sofern noch kein besseres Mittel statt des ausländischen Thee’s als dies vorgekommen ist.“
Die getrockneten Blätter ergeben, „wie der grüne Thee, einen Aufguß der grünlich ist und, mit Milch und Zucker getrunken, sehr gut schmeckt.“ Dabei empfiehlt Piepenbring, für eine Menge von sechs Tassen Wasser so viel Tee zu nehmen, „als man zwischen der Spitze der drey vordersten Finger greifen kann.“

Himbeerpflanze. Aus: Köhler's Medizinal-Pflanzen in naturgetreuen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte. Bd. 1, Bildtafel 43. 1887.
Himbeerpflanze. Aus: Köhler’s Medizinal-Pflanzen in naturgetreuen Abbildungen mit kurz erläuterndem Texte. Bd. 1, Bildtafel 43. 1887.

Aber auch hier gilt: Ich bin wenig gespannt auf Himbeertee, da doch so viele Originale – vieles davon noch nicht probiert – zur Auswahl stehen, Tee aus China, Japan, Taiwan, Neuseeland, Sri Lanka, Indien … in weiß, gelb, grün, schwarz und rot.

Teeplantage bei Hangzhou (China). Hier wird der berühmte „Long Jing“ (auch Lung Ching; Drachenbrunnentee) hergestellt. Foto: René Grohnert
Teeplantage bei Hangzhou (China). Hier wird der berühmte „Long Jing“ (auch Lung Ching; Drachenbrunnentee) hergestellt. Foto: René Grohnert

Was also ist die Sichtweise, welcher Idee folgt Georg Heinrich Piepenbring in seinem Buch, was will er bewirken? Zunächst geht es wohl in der Tat darum, die teuren Importe durch Ersatzstoffe zu ersetzen, die gleiche, oder zumindest eine vergleichbare Qualität zu einem geringeren Preis anzubieten.

Interessant ist aber ist die Vorgehensweise: Erst werden Kaffee und Tee in ein fragwürdiges Licht gerückt. Sie kosten viel, sind oft von mangelhafter Qualität und überdies noch der Gesundheit abträglich. So fühlte man sich ja moralisch fast verpflichtet – und als Nationalstolzer allemal – den „Teutschen Waaren“ den Vorzug zu geben, auch wenn diese den Standard des Originals nicht erreichen können. Aber nach der Miesmache wird zwei Sätze später darauf verwiesen, dass man genau die guten Eigenschaften (deren Benennung eher knapp gehalten war) des Vorbilds durch Ersatzstoffe erzielen möchte. Dieses Vorgehen ist weder neu, noch hat es seine Wirksamkeit verloren. Heute würden wir vielleicht argumentieren, jemand hätte da durch die ideologische oder nationale Brille geschaut. Doch gibt das Büchlein weit mehr als die Verfasstheit des Autors wider, es ist geschrieben für die Mitte der Gesellschaft, dorthin geht der Blick, Piepenbring geht nicht auf die kolonialen Umstände ein, unter denen Anbau und Handel geführt werden.

Hans Lindenstaedt (1874-1928): Rex-Tee ist der beste. Deutschland, 1910
Hans Lindenstaedt (1874-1928): Rex-Tee ist der beste. Deutschland, 1910

[1] Georg Heinrich Piepenbring: Teutscher Caffee und Thee oder die zwey vorzüglichen Mittel den ausländischen Caffee und Thee möglichst zu ersetzen, Hannover, 1798 (Ritschersche Buchhandlung).
Dank an Annelen Karge für den Hinweis auf das Buch. Im Original findet es sich in der Bibliothek der Universität Rostock und ist im Rahmen einer DfG-Maßnahme digitalisiert worden und bereit gestellt unter: https://purl.uni-rostock.de/rosdok/ppn827958072
[2] Piepenbring, S. 3f.
[3] Piepenbring, S. 8ff.
[4] Piepenbring, S. 11f.
[5] Piepenbring, S. 14ff. „Erstes Capitel. Von den Mitteln, welche als Substitute des Caffee’s bekannt geworden und gebraucht sind“.
[6] Zu Grunde gelegt ist ein vierköpfiger Haushalt, der zweimal täglich zwei Tassen Kaffee pro Person trinken und dies an 365 Tagen. Piepenbring, S. 39-40.
[7] Einen Überblick bietet: Martin Krieger: Tee. Eine Kulturgeschichte. Köln, Weimar, Wien 2009 (Böhlau).
[8] Piepenbring: Teutscher Thee. Zweytes Capitel. Von den bisherigen Mitteln, den ausländischen Thee zu ersetzen. (S. 51-54).


René Grohnert,
geboren in Berlin, Studium der Museologie in Leipzig, Studium der Kunstgeschichte in Halle/Saale, Arbeit als Kurator der Plakatsammlung des Museums für Deutsche Geschichte/Deutsches Historisches Museum, dabei unter anderem Betreuung der Sammlung Sachs und Verfasser der Arbeit „Hans Sachs und seine Plakatsammlung“, gemeinsam mit Hellmut Rademacher Kurator der Ausstellung „Kunst! Kommerz! Visionen! Deutsche Plakate 1888–1933“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin (1992), Mitherausgeber der Zeitschrift „PlakatJournal“, 2005 bis 2024 Leiter des Deutschen Plakat Museums in Essen und als solcher Kurator zahlreicher Plakatausstellungen, zu denen er auch die entsprechenden Kataloge herausgegeben hat. Gemeinsam mit Karl Lagerfeld Herausgeber des Werkes „Reklame. Frühe Werbung und Plakate“ (2013).

31.1.2025

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