Hotels schienen eine sterbende Spezies zu sein, denn durch Covid kamen die touristischen Massenbewegungen zum Stillstand. „Aber nachdem sich die erschöpfte Menschheit zum Ende der Pandemie geschleppt hatte, erlebte das Hotel ein Comeback“, schreibt Marion Löhndorf in der Einleitung zu ihrem Buch „Leben im Hotel“. Löhndorf ist Kulturkorrespondentin und Autorin bzw. Co-Autorin mehrerer Filmbücher. Das Hotel simuliere das Schlichte, das Luxuriöse und das Außergewöhnliche, meint sie, und nennt den Prolog zu ihrem Buch: „Künstliche Paradiese“. Das Paradiesgefühl an all diesen Orten sei, so Löhndorf, natürlich kein Zufall, sondern „pure Erfindung, ein sorgfältig kuratierter Traum“, dessen Fabrikation harte Arbeit bedeute.
„Ein Rundgang“ heißt das erste Kapitel, das in der Lobby beginnt, das Drinnen und das Draußen beschreibt, wie Letzteres sich vom Lehnstuhl, vom Balkon oder gar vom Bett aus gefiltert genießen ließe: die Wüste, die Berge oder das Meer. Unter dem Titel „Auftreten und Abtauchen“ ist von den intimen Räumen, den Bars, die Rede. Vom Feiern im Hotel schreibt Löhndorf und vom mehr oder weniger ruhigen Übernachten.
Die Vielzahl der zu beschreibenden Hotels muss natürlich irgendwie kategorisiert werden, und zwar in die politischen Schauplätze, dann als Drehscheibe der Gesellschaft und schließlich bilden sie eine Bühne für Literatur und Film. Wenn Hotels politische Schauplätze sind, dann dienen sie ganz verschiedenen Personengruppen: Spionen, den Mächtigen der Welt, die für ihre Treffen Diskretion erwarten, und schließlich auch Flüchtlingen und Emigranten. Über dem Kapitel „Drehscheibe der Gesellschaft“ steht als Motto ein Ausspruch des britischen Dramatikers Tom Stoppard: „Hotelräume werden von einem sehr unterschiedlichen moralischen Universum bewohnt.“ Dieses Kapitel wird vom Sonnenkönig Ludwig XIV. bewohnt, von John Lennon und Yoko Ono, aber auch von Giuseppe Verdi und Oscar Wilde. Und natürlich von noch weiteren Schriftstellern: Ernest Hemingway, Tennessee Williams, Joseph Roth und Thomas Mann. Das leitet über zum Kapitel „Bühne für Literatur und Film.“ Jede und jeder von uns hat sicher schon einen Roman gelesen oder einen Film gesehen, der in einem Hotel spielt. Löhndorf bringt vieles wieder in Erinnerung. „Wie in der Literatur wird das Hotel auch im Kino zum Schutzort oder Gefängnis, zur Stätte von Liebe, Tod und Verlorenheit, von existentieller Verunsicherung und Ich-Verlust, Angst und Wahnsinn, Gut und Böse, Schrecken und Glückseligkeit.“
Im nächsten Kapitel ist von den Hoteltypen die Rede, vom zweckdienlichen Businesshotel, dessen Lieblingsfarbe Beige ist. Dann ist das Erlebnishotel an der Reihe, in dem man sich in Paralleluniversen hineinträumen können soll, da gehören auch die Wellness- und Biohotels dazu und schließlich die Casino- und Designhotels. Eine Sonderstellung nimmt das „auratische Milieuhotel“ ein, wenn dann der Name „Chelsea Hotel“ fällt, weiß man, was damit gemeint ist. Über dieses Chelsea Hotel hat ja auch Leonard Cohen einen Song geschrieben. (Wobei der für mich schönste Hotel-Song nach wie vor „Grand Hotel“ von Procol Harum ist.) Nach den Luxushotels ist dann auch noch dem „Heartbreak Hotel“ Elvis Presleys ein eigener Abschnitt gewidmet.
„Gestern, heute, morgen: vom Grand Hotel zum Airbnb und ins Weltall“ heißt das letzte Kapitel, das auch die Geschichte der öffentlichen Herbergen erzählt, vom Potential in noch nicht erschlossenen Märkten im globalen Süden weiß und in eine Zukunft im Weltraum, in der Nachbarschaft des Mondes, imaginiert. Das letzte Zitat in dem Buch ist vom Drehbuchautor und Regisseur Paul Schrader, der aus einem Hipster-Hotel in Nashville schrieb: „Ich dachte, das wäre eine neue Erfahrung. Aber wisst ihr was? Ich bin verdammt noch mal zu alt für neue Erfahrungen.“ Wie auch immer, „Leben im Hotel“ macht Lust darauf, neue Erfahrungen in Erwägung zu ziehen oder doch alte Erfahrungen wieder aufzufrischen.
Marion Löhndorf: Leben im Hotel. zu Klampen! Verlag, Springe 2024.
26.6.2024