Immer schon wollten die Menschen Ordnung in die Vielfalt der Tierwelt bringen. Zunächst ging es dabei vor allem ums Überleben und um Fragen wie etwa: Welche Tiere sind gefährlich, welche können gezähmt werden, welche geben Nahrung, welche liefern Material für Kleidung? Auch markante Ähnlichkeiten zwischen manchen Arten und große Unterschiede zu anderen gaben Anlass zu ersten Klassifikationen. Im Lauf der Zeit führten die Versuche zu systematisieren auch zu einer Vielzahl von bildlichen Darstellungen – wie überhaupt Tiere zu den frühesten Motiven gehören, die von Menschen gezeichnet wurden.
Der britische Biologe und Sachbuchautor David Bainbridge machte diese beiden Aspekte – den Wunsch nach einem System und das Bestreben, dies auch bildlich darzustellen – zum Ausgangspunkt für sein Buch „Tiere ordnen. Eine illustrierte Geschichte der Zoologie“. Man sollte sich von dem etwas trockenen Titel nicht davon abhalten lassen, sich näher mit diesem Werk zu beschäftigen. Denn es ist weit mehr als eine „Geschichte der Zoologie“. In dem 256 Seiten starken Band geht es ebenso um kulturhistorische Themen, um Forschungs- und Entdeckungsreisen, um theologische Fragen, um Ökologie, um sozialgeschichtliche Aspekte und um noch vieles mehr. All das wird illustriert durch eine Vielzahl von Bildern.
Entscheidenden Einfluss darauf, wie über lange Zeit die Welt der Tiere gesehen und klassifiziert wurde, hatten zum einen die Schriften des griechischen Philosophen Aristoteles und zum anderen der von einem unbekannten Autor im 2. Jahrhundert verfasste „Physiologus“. Aristoteles war mit seiner Naturphilosophie, so erklärt Bainbridge, ein früher Verfechter einer „Stufenleiter der Natur“, „auf der alle Lebewesen in sorgfältig abgestufter Rangfolge von der Grundmaterie über Pflanzen, Tiere und Menschen bis hin zum Göttlichen geordnet waren. Diese strenge hierarchische Klassifikation widersprach zwar der wuchernden Vielfalt des Tierreichs, die er selbst beschrieb, bildete aber dennoch bis zum 19. Jahrhundert die Grundlage vieler zoologischer Klassifikationen und sogar der Philosophie allgemein.“ Die Vorstellung einer hierarischischen Ordnung des Lebendigen konnte sich nicht zuletzt deshalb so lange und hartnäckig halten, weil sie den Menschen eine überlegene Stellung zuschrieb.
In dem auf der Bibel und der frühchristlichen Gedankenwelt basierenden „Physiologus“ werden die insgesamt vierzig darin beschriebenen Tiere „weniger nach ihren zoologischen Merkmalen vorgestellt als danach, was sie uns als religiöse Symbole lehren können.“ Damit dienen sie „nur als illustrative Elemente für das Wort Gottes – die Zoologie hatte sich der Theologie untergeordnet, ihre wissenschaftliche Kohärenz sollte in den folgenden Jahrhunderten darunter leiden.“
Der große Wandel innerhalb der Zoologie, hin zum heutigen Verständnis der Beziehungen zwischen den Tieren, setzte im 18. Jahrhundert ein. Entscheidend dabei war unter anderem die – revolutionäre und zunächst vielfach angefeindete – Erkenntnis, dass die Erde wesentlich älter sei, als man angenommen hatte. Auch das Tierreich war also nicht in einem einzelnen Schöpfungsprozess entstanden, sondern hatte sich über lange Zeitläufte hinweg entwickelt und ausdifferenziert. Man fand heraus, dass es sich bei Fossilien um die uralten Überreste von Lebewesen handelt, erkannte Verwandtschaften zwischen einzelnen Tierarten und begann sich mit der globalen Ausbreitung der Lebewesen zu beschäftigen.
Die Qualität von David Bainbridges Buch besteht darin, dass es der Autor versteht, die wesentlichen Fakten in klarer, auch für Laien verständlicher und kompakter Form zu vermitteln – ob es nun um das Motiv der Arche Noah geht oder um die Bedeutung der Bilder von Maria Sibylla Merian für die Insektenkunde, ob er sich mit der Rolle von Charles Darwin und Alfred Russel im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie beschäftigt oder mit den neuesten, computergenerierten Darstellungsformen in der Molekularbiologie. Bainbridge verschweigt auch nicht, dass so manche der Theorien ideologisch missbraucht wurden und dadurch schreckliche Konsequenzen hatten – wenn nämlich vermeintliche Entwicklungen von „niedrig“ zu „höherstehend“ konstruiert und damit Rassismen legitimiert wurden.
„Tiere ordnen“ ist ein detail- und lehrreiches Werk zu einem interessanten Kapitel der Wissenschaftsgeschichte – und es ist ein beeindruckendes „Bilderbuch“ mit rund 260 meist großformatigen farbigen Abbildungen.
David Bainbridge: Tiere ordnen. Eine illustrierte Geschichte der Zoologie. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow. Haupt Verlag, Bern 2021.
9.11.2021